Das Geheimnis Des Kalligraphen
nicht.« Nadia lachte hysterisch auf, aber Salman spürte die unterdrückten Tränen ihrer Enttäuschung. Er wollte ihr sagen, er habe sie belogen, weil er sie liebe, aber Nadia ließ ihn nicht zu Wort kommen. Als sie ihm sagte, er sei ein eingebildeter kleiner Lügner und sie würde ihn nur aus Edelmut nicht bei seinem Chef verpetzen, kehrte er langsam ins Café zurück.
Trotz Sarahs tröstender Worte konnte er nicht einschlafen. Er fühlte eine tiefe Scham über seine Lüge. Denn im Grunde wollte er Nadia nur küssen und ihre weichen Arme um sich fühlen.
Karam rief Samih an die Kasse und ging mit Salman zum Suk al Hamidije. Er kaufte für ihn zwei Hemden und zwei Hosen, Socken und neue Schuhe. Als sie alles beisammen hatten, gingen sie ins bekannte Eislokal Bakdasch.
»Meister Hamid stellt lieber einfältige Analphabeten ein als Schlaufüchse«, sagte er, als sie ihr Eis löffelten. »Er ist so eifersüchtig, dass er alle drei Kalligraphen, die in den letzten zehn Jahren versucht haben, im Viertel einen Laden zu eröffnen, mit Gemeinheiten ruiniert hat. Er teilt mit niemandem die fette Beute, die er hier ohne Konkurrenz genießt. Im Kalligraphenviertel al Bahssa dagegen hocken sie übereinander.
Er gibt auch keines der Geheimnisse seiner Kunst preis. Du musst alles ausspionieren. Du darfst die Maske des unbeteiligten, desinteressierten Einfältigen nicht aufgeben. Vielleicht vergisst er dann seine Verteidigung, und das musst du ausnutzen und seine Geheimnisseknacken. Finde heraus, welche Rezepte er für seine berühmten Tinten und welche geheimen Tricks er beim Schreiben gebraucht. Was genau macht seine Meisterschaft aus? Ich selbst kenne mich nicht aus, aber ich höre, seine Kalligraphie würde man bereits aus der Ferne erkennen. Wie und warum? Das musst du alles herausfinden, um Erfolg zu haben. Aber behalte die Geheimnisse für dich, schreibe sie auf und verstecke deine Hefte bei mir – und nicht beim Teufel, der ist mit ihm im Bunde! Du darfst niemanden davon erzählen, auch Sarah nicht. Wenn er dich erwischt, wird er dich nicht nur rausschmeißen, bevor du alle Künste gelernt hast, sondern dich auch hart bestrafen. Das hat er zweimal gemacht mit hochbegabten, aber unvorsichtigen Lehrlingen. Der eine sitzt mit verkrüppelter Hand neben der Omaijaden-Moschee und bettelt, und der andere verkauft seitdem Zwiebeln. Und keiner der beiden weiß, dass ihr Meister sie zu Krüppeln machen ließ. Er ist des Teufels Zwillingsbruder.« Karam erkannte am besorgten Gesicht seines jungen Freundes, dass er übertrieben hatte. »Aber in deinem Fall wird er nichts Böses tun. Wehe, er krümmt dir ein Haar, dann bleibt nichts, aber auch wirklich nichts in seinem Atelier und an seinen Knochen heil. Also, du sollst alles lernen und keine Angst haben.«
»Aber was, wenn ich das nicht lernen kann?«
»Du bist klug und hast eine ruhige Hand. Es ist auch nicht schwer, wenn man die Geheimnisse kennt. Ein Freund hat mir erzählt, wenn man die richtige Feder und die richtige Tinte hat, beherrscht man bereits die Hälfte der Kalligraphie. Deshalb sollst du genau beobachten, wie der Meister seine Rohrfeder schneidet, bis du das im Schlaf kannst.«
»Und warum tust du das alles für mich?«, fragte Salman, als sein Blick auf die zwei großen Tüten mit den neuen Kleidern fiel.
»Das ist eine Kleinigkeit, mein Junge. Ich habe keine Kinder, und ich verdanke dir letzten Endes mein Leben«, sagte er und streichelte zärtlich Salmans Kopf. »Du gehst heute zum Friseur und anschließend ins Hammam, und morgen früh erscheinst du wie ein Prinz gegen neun Uhr bei mir, dann schlendern wir zu ihm. Ich rufe ihn aber heute schon an, weil er es nicht mag, wenn man unangekündigt kommt. Wieich schon sagte, der französische Botschafter ist bescheidener als er«, sagte Karam.
Als sie sich im Suk al Hamidije verabschiedeten, hielt Karam lange Salmans Hand fest. »Ich gebe dir zwei Jahre, dann musst du alle Tricks gelernt haben. Verstanden?«, sagte er mit pathetischer Stimme.
»Ja, mein Herr, ich werde mich bemühen«, antwortete Salman verlegen, lachte und salutierte, um sich von dem bedrückenden Gefühl der Dankbarkeit zu befreien, das ihn zu Tränen gerührt hatte. Er ahnte nicht, dass er Wort halten würde.
Salmans Mutter staunte nicht wenig, als sie ihn am frühen Morgen in den neuen Kleidern sah: »Du siehst wie ein Bräutigam aus. Hat sich Sarah doch für dich entschieden?«, fragte sie. Die Vorbereitungen zu Sarahs Hochzeit
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