Das Geheimnis Des Kalligraphen
waren in vollem Gang.
»Nein, nein, aber ich werde heute versuchen, eine neue Stelle zu bekommen. Bei einem Kalligraphen«, antwortete Salman.
Seine Mutter nahm seinen Kopf in ihre Hände und küsste ihn auf die Stirn. »Du riechst nach Glück«, sagte sie.
Hamid Farsi war nicht so schlimm, wie Salman befürchtet hatte. Karam kannte ihn seit Jahren, aber er war ihm wie alle anderen Nachbarn nie besonders nahe gekommen.
Was Salman neben der Sauberkeit des Ladens sofort auffiel, waren die kleinen klugen Augen des Kalligraphen. Er schien ihn dauernd zu beobachten, und anders als Karam ihm empfahl, wollte Salman nicht lügen und seine Familie besserstellen. Er antwortete aufrichtig auf die Fragen des Meisters. Er verschwieg weder die Krankheit seiner Mutter noch die Sauferei seines Vaters. Hamid Farsi zog die Augenbrauen hoch, erstaunt über die Offenheit dieses dürren kleinen Jugendlichen, der höchstens siebzehn oder achtzehn war, aber alle Höhen und Tiefen des Lebens bereits gesehen hatte. Er sah nicht nur sich als Kind, die abstehenden Ohren erinnerten ihn zudem an seinen geliebten Meister Serani, der ebenfalls solch mächtige Segel besaß.
Als er fragte, was Salman sich von der Arbeit erhoffe, hätte der nach den Übungen mit Karam antworten müssen: ›Dienen, mein Herr, und Geld verdienen‹, aber plötzlich schien Sarah ihm zu soufflieren: »MeinHerr, ich bin kaum zur Schule gegangen, aber ich liebe unsere Schrift. Aus mir wird kein Kalligraph und kein Gelehrter, aber ein guter Assistent möchte ich werden. Ich werde mir Mühe geben und Ihren Ratschlägen folgen und jederzeit auch Ihr treuer Diener sein.«
Karam war sicher, dass Salman nun alles vermasselt hatte. Aber zu seiner allergrößten Verblüffung hörte er den berühmtesten Kalligraphen von Damaskus sagen: »Dann wollen wir es mal versuchen. Du bist ab sofort angestellt, und ich zeige dir gleich einmal, mit wem und was du in diesem Atelier zu tun hast. Verabschiede dich von deinem alten Meister, ohne dessen Wort du mein Atelier nicht einmal hättest betreten dürfen.«
Salman ging zu Karam und gab ihm artig die Hand. »Vielen Dank, Meister«, sagte er leise.
»Mach es gut, Junge, und jeden Mittag ab zwölf hast du deine warme Mahlzeit bei mir. Und sei anständig, wie du es all die Jahre bei mir warst«, sagte er bewegt und ging.
Draußen spürte er, dass er vor Aufregung geschwitzt hatte, und atmete erleichtert auf. »Ein gerissenes Schlitzohr«, sagte er und lachte, dann begab er sich zu seinem Café am Ende der Straße.
19.
K aram hatte nicht übertrieben. Die Kalligraphie war eine völlig andere Welt. Nie im Leben hatte Salman gedacht, dass man sich so viel aus der Schrift machen könne. Er dachte, Kalligraphen seien bessere Maler, die Schilder für Geschäfte und Gebäude anfertigen. Aber hier öffnete sich ein Tor zu Geheimnissen, die er wie einen Zauber erlebte. Es hatte auch nichts Bedrohliches für ihn wie die Schule, und keine Minute fühlte er die Schwere der Zeit, die damals immer auf seinem Herzen gelastet hatte. Die Tage endeten schneller, als er es wünschte. Im Café hatte ihn die Arbeit körperlich erschöpft, aber sie hatte nicht so viel von seinem Kopf verlangt. Er war in seinen Gedankenüberall hingewandert, hatte aber nicht eine Minute an das gedacht, was er machte.
Hier verlangte die Arbeit nicht nur körperliche Mühe, auch der Kopf war bis zum Bersten gefüllt mit dem, was er sah und aufnahm. Im Atelier wie auch hinten in der Werkstatt herrschte Stille, die ihn an die katholische Kirche außerhalb der Messezeiten erinnerte. Nicht nur Hamid Farsi, sondern alle Kalligraphen, die er kennenlernte, waren stille, wortkarge Männer. Und trotzdem war Salmans Kopf so voller Ideen, dass er sogar seine Mutter und Sarah, Flieger und Karam vergaß, weil er den ganzen Tag nur an das dachte, was um ihn herum geschah. Und abends war er erschöpft, aber so glücklich wie noch nie.
Jeden Tag musste Salman das Atelier und die Werkstatt polieren. Der Meister war sauberer als ein Apotheker und konnte Staub nicht ausstehen. Anschließend durfte Salman bei den Gesellen lernen. Über der Tür der Werkstatt hing ein Spruch: Eile ist des Teufels. Nichts wurde mit Hast produziert. Bereits am ersten Tag beobachtete er den Gesellen Samad, die rechte Hand des Meisters und Leiter der Werkstatt, wie er für seine Helfer ein Dreieck mit Ornamenten durch mehrfache Spiegelung in ein Sechseck verwandelte, in dem sich die Wörter verschlungen um
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