Das Geheimnis des letzten Moa: Neuseelandsaga (German Edition)
Frau.«
Antonia lächelte verzweifelt und ließ ihn widerwillig los. Als er, ohne sich noch einmal umzuwenden, hocherhobenen Hauptes aus der Haustür geschritten war, schluchzte Antonia ungehemmt auf.
»Was bist du nur für eine Mutter?«, heulte sie. Hasserfüllt funkelte sie Selma an, die sich bleich auf einen Stuhl in der Diele hatte fallen lassen. »Dieser schreckliche Mister Wayne scheint recht zu haben. Mit dir stimmt was nicht ...«
»... Charles Wayne?«, unterbrach Selma ihre Tochter fassungslos.
»Der Schwager des Bräutigams, ein unangenehmer Zeitgenosse. Der kannte dich. Lass mich überlegen. Wie nannte er dich noch? Ja, jetzt fällt es mir wieder ein: ein betrügerisches Weib.« Antonia spuckte die Worte förmlich aus.
»Geh auf dein Zimmer!«, befahl Selma mit letzter Kraft.
»Und wenn du mich einsperrst, ich schwöre dir, ich werde diesen Mann heiraten. Ob es dir passt oder nicht!«, brüllte Antonia ein letztes Mal und rannte laut schluchzend die Treppe hinauf.
Selma starrte ihr eine Weile wie betäubt nach. Dann schlug sie die Hände vor das Gesicht und fing entsetzlich zu husten an. Nachdem sie sich wieder beruhigt hatte, atmete sie einmal tief durch. Eines war klar: Sie hatte keine Zeit mehr zu verlieren, denn das, wovor sie sich seit Jahren am meisten fürchtete, war nun trotz all der Vorsicht, die sie hatte walten lassen, eingetreten. Antonia war ihrem Vater begegnet!
Was, wenn Charles Wayne gar eine Ähnlichkeit festgestellt und einen Verdacht geschöpft hatte? Mit einer reichen Erbin als Tochter würde sich dieser skrupellose Kerl sicher gern schmücken. Nicht auszudenken! Antonia durfte das um keinen Preis erfahren. Sie war ihre Tochter ganz allein und keine verdammte Wayne! Ein neuerlicher Hustenanfall erschütterte Selmas ohnehin geschwächten Körper. Als sie sich schließlich nach oben in ihr Zimmer schleppte, wurde sie nur noch von dem einen Gedanken getrieben: Bevor Charles Wayne einen Anspruch auf seine Vaterschaft würde erheben können, wären sie bereits weit fort von hier.
Waikouaiti, Oktober 1902
Die angespannte Stimmung auf Otahuna wurde für Harata von Tag zu Tag unerträglicher. Selma hatte ihr klare Anweisungen gegeben, was sie von ihr erwartete, wenn sie weiter für sie arbeiten wollte. Es lief darauf hinaus, dass sie Antonia rund um die Uhr bewachte. Das Mädchen durfte nur noch in ihrer Begleitung oder der ihrer Mutter nach draußen. Ausflüge nach Dunedin waren verboten, und Harata hatte Anordnung, niemanden ins Haus zu lassen. Vor allem keine Besucher für Antonia.
Zu allem Überfluss war Harata seit ein paar Tagen allein mit Antonia im Haus, weil Misses Selma in Begleitung von Mister Koch nach Christchurch und Oamaru gereist war. Die Maori wusste nicht, was es dort so Dringendes zu erledigen gab, aber es herrschte seit Selmas Rückkehr aus Alexandra eine aufgeregte Geschäftigkeit. Es wollte Harata jedes Mal schier das Herz brechen, wenn Antonia sie anflehte, James doch bitte ins Haus zu lassen. Schon zwei Mal war er hier gewesen, aber Harata hatte ihn beide Male erfolgreich wegschicken können. Peter hatte indessen die tobende Antonia festgehalten und sie daran gehindert, aus dem Haus zu stürmen.
Heute hatte sie sich wieder einmal in ihrem Zimmer eingeschlossen, verweigerte das Essen und weinte den ganzen Tag. Lange würde Harata das nicht mehr aushalten. Was sich Misses Parker nur dabei dachte? Was hatte sie bloß gegen diesen jungen Mann? Er war anständig, eine sogenannte gute Partie und besaß überdies ein höfliches Benehmen. Warum war sie so grausam zu ihrem Kind? Sogar das rote Kleid hatte sie ihr fortgenommen und weggeworfen. Harata konnte beim besten Willen nicht verstehen, was in Misses Selma gefahren war.
Als die Türglocke erklang, hoffte die Maori, dass es nicht schon wieder Mister Henson war, doch zu ihrer großen Erleichterung war es nur Anne. Harata stieß einen tiefen Seufzer aus. »Ich darf dich nicht ins Haus lassen, mein Kind.«
Anne blickte sie flehend an. »Bitte, bloß für zehn Minuten. Ich weiß doch gar nicht, was geschehen ist. James hat nur erzählt, dass Misses Parker Toni seit dem Fest wie eine Gefangene hält.«
»Ja, mit mir als Wärter«, knurrte Harata und schlug sich erschrocken die Hand vor den Mund.
»Geben Sie Ihrem Herzen einen Stoß und lassen mich nur für ein paar Minuten zu ihr.«
Harata überlegte noch fieberhaft, als sie Peter auf die Haustür zusteuern sah. Das lenkte sie für einen Augenblick von
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