Das Geheimnis des letzten Moa: Neuseelandsaga (German Edition)
Riesengezeter veranstaltet, weil ihr Charles Wayne nämlich unter dem Siegel der Verschwiegenheit gesteckt hat, dass deine Mutter in Wirklichkeit ein ordinäres Dienstmädchen sei und sich das Erbe der armen Misses Buchan auf unredliche Weise erschlichen habe ...«
»Blödsinn, Mutter war die rechte Hand und später die einzige Vertraute der kinderlosen Misses Buchan. Mutter kann doch nicht einmal eine Suppe kochen. Dienstmädchen? Meine Mutter? Wenn es nicht so traurig wäre, was dieser Kerl an Gemeinheiten verbreitet, müsste ich herzlich lachen.«
»Jedenfalls gibt sein Vater nichts auf dieses dumme Geschwätz. Er hat wohl zu James gesagt, diese Herrin von Otahuna müsse nicht ganz bei Trost sein, wenn sie seinem Sohn die Hand ihrer Tochter verweigere. Und von ihm kommt die Idee, dich zu entführen.«
»Von seinem Vater? Das hast du mir noch gar nicht erzählt.«
»Ja, mein Onkel hat gesagt: Hol dir das Mädchen, heirate sie und besuche deinen Cousin Walter in Sydney. Und wenn du nach einem Jahr mit deiner schwangeren Frau zurückkehrst und meine Farm übernimmst, kräht kein Hahn mehr danach, wie du sie geheiratet hast.«
»Aber warum kommt er mich erst in einer Woche holen? Dann ist Mutter wieder zurück, und die wird mich keine Sekunde aus den Augen lassen.«
»Aber sie wird nicht mit dir in einem Zimmer schlafen, und deshalb müssen wir jetzt schauen, ob es nicht viel zu gefährlich ist.«
Hastig holte Anne ein Seil unter ihrem Mantel hervor. Sie hatte es sich um den Körper geschlungen und sah sich nun prüfend um. Am Fuß des Kleiderschrankes befestigte sie es schließlich.
»Lass es mich versuchen. Wenn sie dich erwischen, wie du an einem Seil aus dem Fenster baumelst, kannst du den ganzen schönen Plan vergessen. Außerdem konnte ich schon immer besser klettern als du.«
Anne öffnete das Fenster und ließ das andere Ende des Seils nach unten fallen. Dann stieg sie beherzt auf das Fensterbrett und hängte sich mit ihrem ganzen Gewicht daran.
»Hält es?«, rief sie.
Antonia trat ans Fenster und nickte. »Aber jetzt komm wieder rein. Mir wird allein vom Zusehen ganz schwindlig«, bemerkte sie ängstlich.
Anne aber lachte und hatte sich im Nu am Seil hochgezogen und zurück auf das Fensterbrett geschwungen.
»Du darfst keine Angst haben«, befahl sie streng, »und auf keinen Fall nach unten sehen oder loslassen. Schaffst du das?«
Antonia war wachsweiß im Gesicht geworden. »Ja, natürlich schaffe ich das.«
»Gut, dann ziehen wir es jetzt am besten schnell hoch und verstecken es unter deinem Bett. Und dann verschwinde ich lieber, bevor Harata Verdacht schöpft.«
Anne schien die Umsetzung des Plans sichtlich Freude zu bereiten. Antonia aber spürte plötzlich, wie ihr der Gedanke, ihre treue Kinderfrau so einfach zu verlassen, die Kehle zuschnürte. Ihre Mutter hatte es nicht anders verdient, aber die Maori? Antonia versuchte, diesen Gedanken wie eine lästige Fliege zu verscheuchen. »Sag ihm, ich liebe ihn«, flüsterte sie der Freundin ins Ohr. »Du bist also bereit? Heute in einer Woche um zehn Uhr in der Nacht?« »Heute in einer Woche um zehn Uhr in der Nacht«, wiederholte Antonia mit belegter Stimme.
Die nächsten Tage vergingen für Antonia quälend langsam. Dabei gab es genügend zu tun. Da sie nicht viel mitnehmen konnte, musste sie genau überlegen, was sie in ihre kleine Tasche packen würde.
Immer wenn sie an James und daran dachte, dass sie bald seine Frau sein würde, wurde ihr warm ums Herz. Doch immer, wenn sie Harata ansah, meldete sich ihr schlechtes Gewissen. Manchmal war sie versucht, sich ihrer Kinderfrau anzuvertrauen, aber das Risiko ließ sie jedes Mal schnell Abstand davon nehmen. Wahrscheinlich würde sich die Maori nicht so einfach zur Mitwisserin ihres verwegenen Fluchtplans machen lassen. Nein, sie würde es wahrscheinlich ihrer Mutter erzählen.
Eine Nacht noch, dann war es endlich so weit. Aber erst einmal würde ihre Mutter heute von der Reise zurückkehren. Antonia hatte sich vorgenommen, sich von ihrer besten Seite zu zeigen, um auch nicht den geringsten Verdacht aufkommen zu lassen, dass sie ihre Flucht plante.
Sich unbeschwert und fröhlich zu geben, war allerdings gar nicht so leicht, wie sie es sich vorgestellt hatte. Das merkte sie spätestens, als sie mit ihrer Mutter und Mister Koch beim Abendessen saß. Was sie da ganz nebenbei erfahren musste, ließ ihr das Blut in den Adern gefrieren. Ihre Mutter hatte Otahuna kaltblütig verkauft, ohne
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