Das Geheimnis des letzten Moa: Neuseelandsaga (German Edition)
einer entfernten Bekannten geworden ist, sie dazu getrieben hat. Sie muss ein eigenes Interesse haben, aber welches?
Plötzlich überkam Grace ein vager Verdacht: Wenn das alles nur Taktik war? Was, wenn Suzan darauf gesetzt hatte, dass sie, Grace, nicht mehr anders würde handeln können, sobald sie mit Antonias Geschichte konfrontiert wäre? Das Herz klopfte Grace bis zum Hals. Sie hat gehofft, dass ich mich, wenn sie mich auf Distanz hält, hilfesuchend an sie wenden und bitten werde, mir bei der Suche nach meiner Mutter behilflich zu sein.
Sie wusste zwar nicht, was sie so sicher machte, auf der richtigen Fährte zu sein, aber sie fühlte es stark, dass hier der Schlüssel zu Suzans ungewohnter Zurückhaltung zu finden war. Und sie ahnte, dass es nur einen Weg gab, der Wahrheit auf die Spur zu kommen. Sie musste sich noch einmal an diese Moira Barclay wenden, und zwar ohne Ethan oder Suzan einzuweihen.
Ach, wenn ich mich doch nur mit jemandem beraten könnte, dachte sie wehmütig. Wenn wenigstens Jenny in der Nähe wäre! In demselben Augenblick verspürte sie eine tiefe Sehnsucht nach ihrer besten Freundin. Ich muss sie anrufen. Ich brauche ihren Rat. Und zwar sofort. In Neuseeland ist es jetzt zehn Uhr morgens, dann ist es zuhause zweiundzwanzig Uhr, und sie geht nie vor zwölf ins Bett, überlegte Grace und eilte, ohne weiter darüber nachzudenken, nach unten in Suzans Büro. Sie erschrak, als sie die Tür öffnete. Suzan saß an ihrem Schreibtisch.
»Guten Morgen, Grace.«
»Oh, entschuldige bitte, ich wollte hier nicht einfach hereinplatzen, ohne anzuklopfen. Ich dachte, du wärest oben in deinem Zimmer. Weil doch Sonntag ist.«
»Macht nichts. Komm rein. Was kann ich für dich tun?«
»Ich ... ich würde gern mal meine Freundin in Deutschland anrufen«, stammelte Grace verlegen.
Suzans Blick verfinsterte sich. »Aha, eine Freundin willst du anrufen. Nur zu!« Sie erhob sich hastig. »Du willst sicherlich ungestört sein.« Und schon klappte die Tür hinter ihr zu.
Grace wartete, bis Suzans Schritte verhallt waren, aber auch dann traute sie dem Frieden nicht. Sie hatte das ungute Gefühl, Suzan wollte wissen, weshalb und mit wem sie telefonierte. Ob sie wohl an der Tür lauschte? Trotzdem wählte Grace Jennys Nummer und wartete gespannt, ob sie rangehen würde.
Als die Freundin sich meldete, atmete sie erleichtert auf. Mit belegter Stimme nannte Grace ihren Namen. Jenny freute sich riesig, etwas von ihr zu hören, aber sie merkte auch sofort, dass die Freundin etwas auf dem Herzen hatte. »Was ist geschehen?«, fragte sie ohne Umschweife.
Grace schluckte trocken und vertraute der Freundin im Flüsterton an, dass Ethan ihre leibliche Mutter gekannt habe und dass es da ein Geheimnis geben müsse. Jenny war die Einzige, die wusste, dass sie von den Camerons adoptiert worden war. Suzan und deren merkwürdige Rolle in diesem Spiel erwähnte Grace vorerst mit keinem Wort. Jenny war sichtlich geschockt angesichts dieser Neuigkeiten. »Aber dann kennt Ethan ihren Namen. Dann könntest du ihn doch danach fragen ...«
Grace unterbrach sie hastig. »Nicht nötig, ich kenne den Namen meiner Mutter inzwischen. Deborah Albee. Ich könnte also zumindest darüber versuchen herauszufinden, wo meine Wurzeln sind. Aber ich weiß nicht, ob ich das wirklich will. Das genau ist mein Problem. Was würdest du tun? Würdest du die Sache auf sich beruhen lassen oder Nachforschungen anstellen?«
»Natürlich würde ich unbedingt wissen wollen, wer meine Eltern waren und was mein Adoptivvater mit ihnen zu tun hat. Wenn du mich brauchst, ich nehme mir sofort Urlaub und helfe dir.«
Das kam so überraschend, dass Grace ihre Tränen nicht länger zurückhalten konnte. Sie versuchte, leise zu weinen, aber Jenny ließ sich nicht täuschen. »Süße, so kenne ich dich ja gar nicht!« Die Freundin schien ehrlich besorgt.
»Ach, es ist so schön, dass es dich gibt«, schniefte Grace und fügte hastig hinzu: »Eigentlich wollte ich schon längst wieder bei dir sein, aber inzwischen tendiere ich schon eher dazu, meine Mutter zu finden.«
»Weißt du denn, ob sie noch lebt und wo?«
»Nicht genau, aber ich habe den Namen einer Frau bekommen, die angeblich etwas über den Verbleib meiner Mutter weiß. Aber die wurde böse am Telefon, als ich sie anrief. Sie hat aufgelegt. Also habe ich gar nichts außer ihrem Namen.«
»Aber das ist doch ein wichtiger Hinweis. Am besten, du suchst erst einmal diese Frau auf, die angeblich etwas
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