Das Geheimnis des letzten Moa: Neuseelandsaga (German Edition)
weiß, und konfrontierst sie von Angesicht zu Angesicht mit der Frage nach deiner Mutter. Dann merkst du, ob sie mauert. Ach, ich wäre so gern bei dir. Das ist doch alles unheimlich aufregend.«
Grace lachte gequält. »Ich könnte gut und gern auf die ganze Aufregung verzichten. Aber ich danke dir für deinen Rat.«
»Bitte, Süße, lass nicht mehr so viel Zeit vergehen. Ruf an. Und was ist mit deinem Barry?«
»Bis bald, Jenny!«, erwiderte Grace hastig und wollte auflegen, doch da sagte die Freundin bereits: »Ich glaube, dein Vater ahnt, dass du irgendetwas herausfinden könntest. Er war neulich hier in unserer Wohnung, stand völlig neben sich und beschwor mich, ihm deine neuseeländische Nummer zu geben, weil dein Handy abgeschaltet sei. Er behauptete, es sei wirklich dringend, ja, und da habe ich sie ihm gegeben. Ich hoffe, das war in Ordnung ...«
»Kein Problem«, erwiderte Grace hastig.
»Er wirkte sehr hektisch, aber nun erzähl schon von deinem Barry...«
»Später, meine Süße, ich kann hier nicht so lange sprechen«, wehrte Grace ab und legte auf, bevor die Freundin weitere Fragen stellen konnte. Um ihr von der Sache mit Barry und dem vagen Verdacht, dass ihr kurzes Zusammensein in Horis Wohnung nicht ohne Folgen geblieben war, zu erzählen, fehlte ihr die Kraft. Sie war für ihre Verhältnisse heute ohnehin viel zu nah am Wasser gebaut. Jenny wird sich sicherlich fragen, ob ich unter die Heulsusen gegangen bin, befürchtete Grace. Noch ein untrügliches Zeichen, dass mein Hormonhaushalt verrückt spielt, schoss es ihr durch den Kopf.
Mit klopfendem Herzen suchte sie im Telefonbuch von Dunedin noch einmal nach M. Barclay. Sie wohnte in der Stafford Street. Grace schrieb sich die Adresse auf und fasste den Entschluss, ihren Besuch bei der Dame so schnell wie möglich hinter sich zu bringen.
Eilig verließ sie das Büro. Sie hatte eigentlich erwartet, Suzan mit dem Ohr an der Tür zu erwischen, aber auf dem Flur war keine Menschenseele. Du leidest langsam unter Verfolgungswahn, meine Liebe, ermahnte Grace sich selbst und holte rasch die Handtasche mit dem Stadtplan aus ihrem Zimmer. Mit einem Blick stellte sie fest, dass sie dahin leicht zu Fuß laufen konnte. Ein Spaziergang bei dem schönen Wetter würde ihr sicher guttun.
Trotz der Wärme schien auch am anderen Ende der Welt langsam der Herbst Einzug zu halten. Die einheimische Flora war zwar in der Regel immergrün, aber vereinzelt gab es aus Europa eingeführte Bäume, die ihr Laub abwarfen.
Schnellen Schrittes eilte Grace die sonntäglichen Straßen entlang. Aus vielen Häusern zogen ihr die Düfte des Mittagessens entgegen. Grace hatte diese Stadt inzwischen in ihr Herz geschlossen. Auf der einen Seite herrschte städtisches Leben, und dann gab es die Nebenstraßen, die von Holzhäusern mit ihren Veranden gesäumt wurden, was auf Grace eher ländlich und sehr gemütlich wirkte.
In der Stafford Street gab es beides. Prächtige Bauten aus Stein und einige bescheidene Holzhäuser. Grace war sehr gespannt, in welchem M. Barclay wohnte. Als sie endlich davorstand, war sie ein wenig enttäuscht. Es handelte sich mit Abstand um das kleinste, das überdies nicht besonders schön anzusehen war. Dafür blühte es im Vorgarten in einer üppigen, alle Farben umfassenden Pracht, als wäre es noch mitten im Sommer.
Auf dem getöpferten Schild stand: M. und M. Barclay. Grace klopfte das Herz bis zum Hals. Ein paarmal zog sie ihren Finger vom Klingelknopf zurück, ohne ihn betätigt zu haben. Am liebsten wäre sie fortgelaufen, doch schließlich fasste sie sich ein Herz und drückte. Eine Glocke ertönte, und wenig später stand eine grauhaarige Frau in Suzans Alter vor ihr und musterte sie kritisch von Kopf bis Fuß.
»Was wollen Sie?«, fragte sie in unfreundlichem Ton.
Grace schnappte nach Luft. Mit der Dame war nicht zu spaßen. Das konnte man auf den ersten Blick erkennen. Sie war der Typ uneitle ältere Frau, das graue Haar stand ihr störrisch in alle Richtungen vom Kopf ab, und sie trug eine fleckige Jeans mit einem schlichten T-Shirt.
»Ich wollte Sie nicht stören«, entschuldigte sich Grace verunsichert.
»Und warum tun Sie es dann?«, giftete die Frau zurück.
Grace atmete einmal tief durch. »Ich suche Moira Barclay. Es ist dringend. Sind Sie das?«
»Nein, bin ich nicht, und ich kann Ihnen auch nicht sagen, wo sich meine Schwester aufhält. Schickt diese Frau Sie?«
»Welche Frau?«
»Eine gewisse Suzan, fragen Sie mich nicht
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