Das Geheimnis des letzten Moa: Neuseelandsaga (German Edition)
reagiert, als sie die Ausstellung zum ersten Mal gesehen hatte. Am liebsten würde sie ihn auf der Stelle verführen. Stattdessen erklärte sie ihm mit sachlicher Stimme die einzelnen Ausstellungsstücke und erzählte von Antonia und ihrem Fund.
Als sie den Rundgang beendet hatten, war Grace den Tränen nahe. Allein der Gedanke, dass er gleich fort sein würde, deprimierte sie. Wie gern würde sie den restlichen Tag mit ihm verbringen, mit ihm nach Macandrew Bay fahren und in seinem Haus auf dem Wasser ...
»Ich muss jetzt leider weiterarbeiten«, sagte sie stattdessen mit schroffer Stimme, nachdem sie wieder oben angekommen waren.
»Verzeih, falls ich deine Zeit gestohlen haben sollte«, entgegnete Hori höflich.
»Nein, nein, die kleine Unterbrechung kam mir ganz gelegen.«
»Ja, dann mach's gut, Grace.«
»Ich bringe dich noch zur Tür.«
An der Haustür blieb er einen Augenblick unschlüssig stehen. Er überlegt, ob er mich noch einmal küssen soll, ging es Grace durch den Kopf, und insgeheim wünschte sie sich, dass er sich traute. Aber Hori winkte ihr nur noch einmal kurz zu und sagte mit fester Stimme: »Ich hoffe, wir sehen uns wieder. Freitag in vierzehn Tagen um acht Uhr abends am Burns-Denkmal.«
Ich werde ihn niemals wiedersehen, dachte Grace und spürte bei dem Gedanken eine tiefe Traurigkeit in sich aufsteigen.
Oamaru, Juli 1919
Antonia sortierte voller Stolz ihre neuen Funde. Sie hatte ganz in der Nähe des ersten Fundorts tatsächlich noch weitere Knochen gefunden, offenbar von kleinen Moas. Und in ein paar Tagen würde Professor Evans sie besuchen und mit ihr gemeinsam eine Exkursion auf die Ebene zu einer alten Dame machen, die behauptete, in der Nähe von Glenavy ein heiles Moa-Ei gefunden zu haben. Eine kleine Sensation, wenn es denn den Tatsachen entsprach. Der Professor bekam viele solcher Briefe, doch oft entpuppten sich die Funde als etwas völlig anderes, nur nicht als Überreste des Urvogels.
Antonia und Arthur Evans standen in regem Briefverkehr. Der Professor machte keinen Hehl daraus, dass sie in seinen Augen nun keinen Vorwand mehr besaß, sich vor einer Zusammenarbeit mit ihm und einem Umzug nach Dunedin zu drücken.
Wenn er wüsste, dachte Antonia, dass es nun nicht mehr Mutter ist, die mich daran hindert, nach Dunedin zu gehen, sondern meine heimliche Beziehung zu James Henson. Sie trafen sich inzwischen einmal oder immer öfter sogar zweimal im Monat im Strandhaus am Bushy Beach. Antonia hatte ihm beim ersten Mal allerdings klipp und klar gesagt, sie könne nicht auf ewig seine Geliebte bleiben. James hatte ihr zärtlich versichert, er werde sich scheiden lassen und sie heiraten. Doch immer, wenn sie sich nach dem Stand der Dinge erkundigte, vertröstete er sie. Beim letzten Treffen hatte es deswegen einen heftigen Streit gegeben, und zum ersten Mal hatten sie schon seit über fünf Wochen nichts voneinander gehört.
Meist schrieb James ihr nach Oamaru und bat um ein neues Wiedersehen, doch dieses Mal hatte sie die Initiative ergriffen. Frederik Koch, der auch nach Selmas Tod im Haus wohnen geblieben war, hatte alles andere als begeistert darauf reagiert, dass sein Name und seine Adresse als Absender für einen heimlichen Liebesbrief herhalten musste. Er ahnte von der Affäre, und Antonia sah nicht mehr die Notwendigkeit, alle Indizien panisch verschwinden zu lassen. Deshalb hatte sie ihn auch ganz offen gebeten, den Umschlag zu beschriften, damit im Hause Henson keiner Verdacht schöpfte. Denn es gab außer ihrer Sehnsucht nach James noch einen triftigen Grund, warum sie ihn dringend sehen musste: Ihre Regelblutung war ausgeblieben, und ihre Brust spannte schmerzhaft. Zunächst war sie geschockt gewesen bei dem Gedanken an eine Schwangerschaft, und das in ihrem Alter. Mittlerweile sah sie darin ein Geschenk des Himmels. Niemals hatte sie damit gerechnet, dass es ihr noch vergönnt sein würde, ein Kind zu bekommen.
Dann wird er sich endlich entscheiden müssen, dachte sie mit einem Anflug von Bedauern wegen des dummen Streits. Ich liebe ihn, und er liebt mich. Wir gehören zusammen. Gerade jetzt, wo ich ein Kind von ihm erwarte. Der Gedanke, dass sie bald eine richtige Familie sein würden, jagte ihr wohlige Schauer über den Rücken. Ihr Kind würde im Gegensatz zu ihr einen richtigen Vater bekommen. Sie wären zwar nicht mehr die jüngsten Eltern, aber mit Sicherheit die glücklichsten. Wie sehr hatte sich James doch ein eigenes Kind gewünscht ...
Das
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