Das Geheimnis des letzten Moa: Neuseelandsaga (German Edition)
ich mich auch mit Norma, versprochen! So, und jetzt lass mich bitte allein. Ich will die Einladungen schreiben.«
»Gut, mein Kind«, erwiderte er leise und ging zur Tür. Dort wandte er sich noch einmal um. »Da wäre noch etwas«, bemerkte er sichtlich verlegen. »Es gibt noch einen Enkel des Alten, der nächste Woche aus seinem Internat in London nach Hause zurückkehrt. Alexander. Darf er mitfeiern?«
»Wie, einen Enkel? Hast du etwa auch einen Sohn?«
James schüttelte energisch den Kopf. »Nein, er stammt aus dem Verhältnis meines Schwiegervaters mit einem Dienstmädchen, das dann kurz nach der Geburt ihres Kindes starb. Sie hatte vorher einen anderen Mann, einen Joe Cameron geheiratet, der wusste, dass der kleine Joe - so hieß auch der Junge - nicht sein Kind war. Dessen Eltern, bei dem das Kind nach dem frühen Tod des Mannes aufwuchs, fanden schließlich heraus, dass der leibliche Vater von Joe Charles Wayne ist. Sie haben lange Jahre Schweigegeld von meinem Schwiegervater erpresst. Aber als der kleine Joe, der inzwischen zwanzig war, zusammen mit seiner Frau tödlich verunglückte und einen elternlosen Sohn zurückließ, hat Charles dem Ganzen ein Ende gesetzt und den Camerons ein Angebot gemacht: Er wollte seinen Enkel aufnehmen und sich um ihn kümmern. Im Gegenzug sollten die Camerons ihn endlich in Ruhe lassen. Sie sind darauf eingegangen, haben noch einmal die Hand aufgehalten und ihm schließlich Alex gegeben. Damit hatten sie einen Esser weniger und wir ein Kind mehr in der Familie!«
Sehr glücklich sieht er nicht aus, wenn er von dieser Familie Cameron spricht, ging es Barbra beim Anblick seiner finsteren Miene durch den Kopf.
»Gut, der kann meinetwegen auch kommen, aber sag Norma, wenn sie mich auf meinem eigenen Fest so feindselig ansieht, wie sie es sonst zu tun pflegt, muss sie leider abhauen.«
Wieder machte James sich zum Gehen bereit, und wieder drehte er sich um. »Sag mal, was war Arthur Evans eigentlich für ein Mensch?« Er wirkte gequält.
»Er war ein wunderbarer Vater, und Mom und er haben sich blind verstanden. Es gab niemals Streit. Klar, sie waren gleichsam verrückt nach dem Moa, aber trotzdem hatten sie viel Spaß. Bei uns wurde immer viel gelacht ...« Sie unterbrach sich, weil James so entsetzlich mitgenommen aussah, doch dann fuhr sie zögernd fort: »Er hat immer viel mehr mit mir unternommen als Mom. Er hat mir Gutenachtgeschichten vorgelesen, zu ihm bin ich gerannt, wenn ich mir das Knie aufgestoßen hatte und er pusten sollte ...« Plötzlich liefen ihr die Tränen nur so über die Wangen. »Ich will dich nicht verletzen«, schluchzte sie entschuldigend.
Nun konnte sich auch James nicht mehr beherrschen. »Kind, ich bin doch froh, dass du einen guten Vater gehabt hast. Es ist nur so: Nichts im Leben hätte ich lieber getan, als dich aufwachsen zu sehen. Jetzt bist du schon so groß«, gestand er ihr mit tränenerstickter Stimme.
»James, Dad, ich hab dich wirklich lieb. Das musst du mir glauben, aber ich bin nicht glücklich in deinem Haus.«
»Ich weiß, es ist nicht so einfach, aber glaube mir, es kann nur besser werden«, seufzte er. In diesem Augenblick hätte Barbra ihn gern umarmt, aber da hatte er das Zimmer bereits eilig verlassen. Wahrscheinlich soll ich nicht sehen, dass er wieder weint so wie bei Moms Tod, dachte Barbra, denn Männer weinen ja eigentlich nicht. Sie war jedenfalls noch nie zuvor einem weinenden Mann begegnet.
Als Barbra an ihrem sechzehnten Geburtstag zum Frühstück erschien, erwartete sie ein Blumenmeer. James empfing sie sogar mit einem Ständchen. Selbst Norma schien ihr gegenüber ein wenig freundlicher gesonnen als sonst. Jedenfalls nickte sie ihr aufmunternd zu. Nur Charles fehlte.
Als James Barbras Blick auf den leeren Stuhl bemerkte, klärte er sie auf. Der alte Wayne war zum Bahnhof nach Milton gefahren, um seinen Enkel abzuholen.
»Willst du nicht deine Geschenke auspacken?«, fragte James lauernd. Barbras Blick fiel nun auf die Pakete, die um ihren Stuhl herum lagen.
»Wollen wir nicht erst frühstücken?«, fragte sie höflich.
Norma kicherte laut auf. »Komm, du bist doch bestimmt genauso neugierig wie ich. Nun mach schon.«
Barbra sah ihre Stiefschwester erstaunt an. Das war der erste Satz, den sie an sie gerichtet hatte, seit sie auf der Schaffarm in Milton lebte. Sie lächelte. »Gut, aber nur, um dir einen Gefallen zu tun«, erwiderte Barbra verschmitzt. James strahlte über das ganze Gesicht. Ihm war
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