Das Geheimnis des letzten Moa: Neuseelandsaga (German Edition)
auffressen und Norma mich dafür mit ihren töten wollen.
Lustlos verließ Barbra ihr Zimmer und betrat mit hängenden Schultern das Esszimmer. Die anderen saßen bereits bei Tisch. James hatte sich dank seiner fleißigen Haushaltshilfe wieder mächtig ins Zeug gelegt. Ihr Platz war blumengeschmückt.
»Danke, Dad«, sagte sie höflich und versuchte zu lächeln. Es gelang ihr halbwegs, und sie bemühte sich, die Rolle der gut gelaunten Tochter zu spielen, während ihr Vater eine flammende Rede auf sie hielt.
Als ihr Blick den von Alexander traf, sah sie ihre schlimmsten Befürchtungen bestätigt. Er schmachtete sie förmlich an. Wie erwartet, beobachtete Norma das mit zusammengepressten Lippen.
Kaum dass James seine Rede beendet hatte, stieß Alexander mit seiner Gabel an ein Glas, sprang eifrig von seinem Stuhl auf und strahlte Barbra an. »Lieber James, liebe Norma, liebe Barbra, ich will nicht länger mit meinen Gefühlen hinter dem Berg halten. Ungeduldig habe ich deinen siebzehnten Geburtstag erwartet, um dir endlich einen Antrag zu machen. Ich bin kein Mann der großen Worte. Nur das eine: Willst du meine Frau werden, Barbra?«
Statt ihn anzusehen, blickte Barbra zu Norma hinüber. Die aber wandte den Blick zutiefst verletzt ab.
»Na, das ist ja eine Überraschung«, sagte James. Das klang alles andere als begeistert.
Barbra schluckte trocken. Offenbar erwartete man von ihr eine Antwort. Zögernd wandte sie sich Alexander zu. »Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll ...«
»Ja!«, schnaubte Norma hämisch. »Ja, sollst du sagen!«
»Nein«, erklärte Barbra entschieden. »Ich werde dich nicht heiraten, denn ich liebe dich nicht.«
Das brachte ihr einen anerkennenden Blick ihrer Stiefschwester ein. Zum ersten Mal seit langer Zeit huschte der Anflug eines Lächelns über Normas Gesicht.
Alexander sah Barbra sprachlos an. Sein Mund stand vor Erstaunen halb offen. In dieses Schweigen hinein ertönte der Klang der Haustürglocke.
»Hast du noch jemanden eingeladen?«, fragte James erstaunt.
Barbra schüttelte den Kopf, doch da hörte sie draußen im Flur eine ihr wohlbekannte Stimme sagen: »Doch, Miss Evans erwartet mich heute.«
Vor lauter Aufregung drohte Barbras Herzschlag auszusetzen. Sie starrte gebannt zur Tür. Als Thomas die Tür öffnete und in das Esszimmer trat, begann sie am ganzen Körper zu zittern. Er sah noch genauso umwerfend aus wie damals vor zwei Jahren. Er lächelte ihr zu, doch dann steuerte er zielstrebig auf James zu und streckte ihm die Hand zur Begrüßung entgegen, die dieser irritiert nahm.
»Mister Henson, ich möchte mich in aller Form dafür entschuldigen, dass ich hier anscheinend unangemeldet hereinplatze, aber ich hatte Miss Evans versprochen, dass ich sie am heutigen Tag aufsuche. Inzwischen ist mir zu Ohren gekommen, dass Sie der Vater der jungen Dame sind, und deshalb darf ich Sie auch persönlich um die Hand Ihrer Tochter bitten.«
Daraufhin herrschte Totenstille, bis sie durch Normas hysterisches Kichern unterbrochen wurde.
Das ließ auch Barbra aus ihrer freudigen Erstarrung erwachen, und ihr fiel ein, was Helen ihr über ihre Schwester und Thomas erzählt hatte. »Thomas, ich würde dich gern unter vier Augen sprechen«, sagte sie nun streng, während sie aufstand, ihn bei der Hand nahm und auf den Flur hinauszog.
»Liebste«, raunte er.
»Was ist mit Julia?«, entgegnete sie schroff, während sie seiner Umarmung auswich.
»Welche Julia?«
Kämpferisch stemmte Barbra die Hände in die Hüfte. »Sag bloß, du weißt nicht, von wem ich spreche. Jetzt tu nicht so. Julia Cunningham, die Schwester meiner Freundin Helen.«
»Ach, deshalb hat die kleine Helen mich immer so böse angesehen. Jetzt verstehe ich.« Thomas lachte.
»Du leugnest also nicht, mit ihr verlobt zu sein?«, fragte Barbra empört.
»Mein Liebes, das weise ich weit von mir. Es war ein kleines Techtelmechtel. Nicht von Bedeutung. Und es ist vorbei!«
»Du gibst also zu, mit ihr ein Verhältnis gehabt zu haben?«
»Warum nicht? Wir leben nicht mehr im Viktorianischen Zeitalter, wo man das nur heimlich zu tun pflegte. Sie wird auch einen anderen heiraten. Oder willst du mich etwa nicht mehr?«
Er trat auf sie zu und zog sie sanft zu sich heran. Dann küsste er sie. Barbras Knie wurden weich, als sie den Kuss erwiderte.
Als sie Arm in Arm ins Esszimmer zurückkehrten, hatte sie das Gefühl, auf Wolken zu schweben.
»Dad«, flötete sie. »Ich möchte Thomas Leyland heiraten.«
»Ach,
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