Das Geheimnis des letzten Moa: Neuseelandsaga (German Edition)
als sie unten an der Haustür angekommen waren.
Sean aber trat ohne Vorwarnung einen Schritt auf sie zu und umarmte sie.
»Es war schön mit Ihnen«, flüsterte er. »Und was die kleine Störung angeht: Ihre Schwester ist entzückend, aber an Biologie und dem Moa so wenig interessiert wie Sie und ich daran, Geld zu scheffeln.«
Dann gab er ihr einen zärtlichen Kuss auf die Wange, lächelte sie noch einmal an und wandte sich zum Gehen. Fröhlich pfeifend machte er sich auf den Heimweg.
Suzan aber blieb wie angewurzelt im Türrahmen stehen, bis er schon lange um eine Ecke verschwunden war. Schließlich trat sie einen Schritt vor die Tür und atmete tief die salzige Luft ein, die der Ostwind in die Stadt geweht hatte. Dann wandte sie ihren Blick zum Himmel und lächelte zu den Sternen empor. Sie hatte das Gefühl, als würden sie um die Wette funkeln, um ihr einen persönlichen Gruß von dort oben zu überbringen. Sie konnte ihr Glück kaum fassen. Wie hatte sie nur so an seinem Charakter zweifeln können?
Mitten in ihre liebestrunkenen Gedanken hörte sie wie aus einer anderen Welt Debbie seufzen: »Er ist so süß!«
Erschrocken fuhr Suzan herum. Das war keine Sinnestäuschung, sondern ihre Schwester, die unverblümt von Sean schwärmte.
Suzan wollte etwas erwidern, ihr deutlich zu verstehen geben, dass Sean Debbie durchschaut und kein Interesse an ihr hatte, als diese trotzig sagte: »Suzie, ob du das willst oder nicht, ich werde Sean Albee heiraten und keinen anderen!«
Das wirst du nicht tun!, dachte Suzan wutentbrannt, während sie, ohne Debbie noch eines weiteren Blickes zu würdigen, hinaus in die Nacht lief und erst haltmachte, als sie einen nahe gelegenen Park erreicht hatte. Atemlos ließ sie sich auf eine Parkbank fallen. Sosehr sie sich auch bemühte, den unbeschreiblichen Augenblick des Kusses in ihre Erinnerung zurückzuholen, er wurde jedes Mal von Debbies Worten überschattet. Und in Suzans Herz, das eben vor Liebe schier hatte überquellen wollen, breitete sich wie ein schleichendes Gift ein völlig anderes Gefühl aus: eine unbestimmte Angst!
Dunedin, Mitte April 1957
Barbra war ganz und gar nicht von Suzans Idee angetan, zu deren Schulabschluss ein kleines Fest zu geben. Besonders nicht, als sie hörte, dass auch jener Zoologe kommen sollte, mit dem Suzan in den letzten Wochen öfter einmal ausgegangen war.
Suzan hingegen konnte es kaum mehr erwarten. Sie hatte sich extra zur Feier des Tages ein weißes Kleid mit großen roten Punkten, einem weit schwingenden Rock und einem Gürtel gekauft, der ihre schmale Taille vorteilhaft betonte. Dazu trug sie das schwarze Haar hochgesteckt mit einer roten Blume verziert. Das soll wirklich ich sein?, fragte sie sich, während sie sich vor dem Spiegel drehte. Übermütig streckte sie ihrem Spiegelbild die Zunge heraus. Das Bild, das sich ihr bot, war fremd, aber überaus ansprechend. Wenn ich ein Mann wäre, ich würde mich hübsch finden, dachte sie. Dabei war sie weit davon entfernt, eitel zu sein. Deshalb spielte sie auch mit dem Gedanken, sich ihrer entsetzlichen Pumps zu entledigen. Sie machten zwar ein graziles Bein, aber sie drückten unerträglich. Suzan wollte sie gerade in hohem Bogen von sich schleudern, als sich Debbie vor den Spiegel drängelte und sie nun verdeckte - bis auf ihren Kopf, um den Suzan die Schwester überragte.
Ihr stockte der Atem. Debbie trug ein cremefarbenes Kleid ohne Träger. Es wurde auch nicht im Nacken gehalten. Ihre Schultern waren völlig nackt. Dazu trug sie eine Strasskette aus den Beständen von Großmutter Antonia und das passende Armband. Alles glitzerte und funkelte an ihr. Besonders ihre Augen. Sie sieht aus wie eine Braut, dachte Suzan missmutig. Und da war er wieder, der Neid auf die kleine Schwester, den sie in letzter Zeit immer häufiger empfand. Vor allem seit sie wusste, dass Debbie Sean tatsächlich ein paar Besuche in der Universität abgestattet hatte. Das Einzige, was sie tröstete, war die Tatsache, dass er ihr sofort amüsiert davon berichtet hatte. Ansonsten hätte sie wohl nichts davon erfahren, denn ihre Schwester hatte es ihr verschwiegen.
»Ist das nicht ein Traum von einem Kleid?«, flötete Debbie.
»Es ist hübsch«, erwiderte Suzan kühl und hoffte, die Schwester würde endlich wieder verschwinden. Diese wiegte sich stattdessen kokett hin und her, drehte sich und klatschte vor Begeisterung in die Hände.
»Ich sehe doch aus wie zwanzig, oder?«
Suzan rollte genervt mit den
Weitere Kostenlose Bücher