Das Geheimnis des letzten Moa: Neuseelandsaga (German Edition)
hervorpresste, klopfte ihr das Herz bis zum Hals. Das machte sie nur noch verlegener.
»Bitte, Mister Charles, sehen Sie mich nicht so an. Ich habe so viel zu tun. Schauen Sie nur, das ganze Geschirr muss noch eingedeckt und die Gläser aus der Küche geholt werden.«
»Habe ich nicht versprochen, Ihnen zu helfen? Sie decken ein, und ich eile inzwischen in die Küche und hole Ihnen die Gläser. Sie sollen nachher nicht behaupten, dass ich ein Aufschneider bin, der nicht hält, was er verspricht.«
Er tänzelte zur Tür, wo er mit Mama Maata zusammenstieß.
»Sie sollten in der Kirche sein. Ihre Mutter ist ganz unglücklich, dass Sie unauffindbar waren!«, fauchte diese.
»Mama Maata, immer noch so streng mit mir? Es ist doch besser, ich mache mich nützlich und helfe der jungen Dame«, sagte er und verschwand in Richtung Küche.
Mama Maata warf Selma einen strafenden Blick zu. Die senkte schuldbewusst den Kopf. Die alte Maori hielt sich nicht lange mit Vorreden auf.
»Verbrenn dir bloß nicht die Finger, mein Kind! Mister Charles ist ein gefürchteter Schürzenjäger, und wenn seine Mutter erfährt, dass er dir nachstellt, bist du die längste Zeit in ihren Diensten gewesen.«
»Aber er stellt mir ja gar nicht nach. Er wollte mir nur ein wenig helfen«, entgegnete Selma trotzig.
»Ach ja? Dann solltest du dich schnellstens in einem Spiegel betrachten. Deine Wangen glühen wie Feuer, und in deinen Augen strahlt dieser gewisse Glanz. Aber ich will gar nicht wissen, wie weit er gegangen ist. Nur so viel: Halt dich in Zukunft fern von ihm. Ich warne dich. Lass dich nicht mit ihm ein.«
Da kam Charles bereits mit einem Tablett voller frisch polierter Gläser zurück in den Salon. Er strahlte über das ganze Gesicht.
»Stell das Tablett bitte dort ab!«, herrschte Mama Maata ihn an.
»Lass mich doch helfen, Mama Maata. Das ist mein einziger Wunsch. An Weihnachten eine gute Tat zu begehen.«
»Sehr löblich, mein Junge, dann guck mir einfach dabei zu, wie ich neben jeden Teller ein Weinglas stelle, und du, Selma, gehst sofort in die Küche und kümmerst dich um den Truthahn.«
Mit gesenktem Kopf schlich sich Selma aus dem Salon. Charles wollte ihr folgen, doch da ertönte Mama Maatas strenge Stimme: »Vergiss sie nicht, deine gute Tat. Darauf warte ich jetzt schon seit einigen Jahren vergeblich. Hiergeblieben und mir bei der Arbeit zugesehen, Lausebengel!«
Erschöpft saß Selma auf einem Küchenstuhl und rieb sich die geschwollenen Füße. Das Essen wollte und wollte einfach nicht enden. Über drei Stunden hatten die Herrschaften nun schon gespeist. Es war alles gut gegangen, bis auf die Tatsache, dass Charles sie unverwandt anstarrte, jedes Mal, wenn sie einen Gang auftrug. Und das, obwohl seine Tischdame die attraktive Luisa Adison war, die Tochter von Dorothy und Gerald, den besten Freunden der Waynes.
Hoffentlich hat es keiner gemerkt, dachte Selma und war froh, dass sie nun nur noch den Plumpudding servieren und abräumen musste, bevor sie endlich Feierabend machen konnte. Sie war nicht ein einziges Mal dazu gekommen, dem verlorenen Weihnachten daheim in Cornwall hinterherzutrauern. Die kleine Pause, während die Gesellschaft den Truthahn aß, hatten sie selbst zum Essen genutzt. Hier in der Küche. Immerhin hatte es auch für das Personal einen Truthahn gegeben.
Nun war Selma für einen Augenblick allein, denn Mama Maata und die anderen Mädchen räumten gerade das Geschirr vom Hauptgang ab. Sie dachte mit Freuden daran, dass sie nachher noch mit Mister Damon einen kleinen Spaziergang unternehmen würde. Er hatte im Gegensatz zu seinem Bruder den ganzen Abend über vermieden, sie anzusehen.
Ein wenig aufgeregt war sie schon bei dem Gedanken, dass sie den Christmas Pudding allein zubereitet hatte. Hoffentlich schmeckte er den Herrschaften. Selma fand es zwar verschwenderisch, ihn bereits am Tag vor Weihnachten auf den Tisch zu bringen, aber wenn Misses Wayne es so wünschte ... So einen Luxus hatte es auf der Farm zuhause nicht gegeben, doch die Dame des Hauses verlangte an beiden Tagen das komplette Menü. Dementsprechend hatte Selma eine riesige Menge gekocht. Nun zogen neben den Düften des Geflügels auch süßliche Gerüche durch die Küche. Besonders gut roch es nach Orangenschalen und Mandeln. Außerdem wehten immer wieder Schwaden von Alkohol zu Selma herüber. Ohne Brandy war ihr Rezept nämlich nicht vollständig. Sie hatte den Pudding bereits aus der Form genommen. Der Höhepunkt
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