Das Geheimnis des letzten Moa: Neuseelandsaga (German Edition)
schlafen. Wie wäre es, wenn du mir die Fortsetzung von Selmas Schicksal jetzt gleich als Gutenachtgeschichte servierst? Ich kuschle mich schon mal unter die Decke. Und du sollst bitte auf dem Stuhl danebensitzen. So wie meine ...«, sie stockte, »... Claudia es immer getan hat.«
Mit diesen Worten verließ Grace das Büro.
Suzan blieb noch eine ganze Weile wie betäubt stehen. Bis sie endlich begriff, wie haarscharf sie einer Katastrophe entkommen war. Ein einziges Telefonat mit Ethan hätte ihren ausgeklügelten Plan zunichte machen können. Sie war glücklicherweise gerade noch rechtzeitig gekommen, um das Schlimmste zu verhindern. Nun hatte sie erst einmal Ruhe. Sie würde Grace mittels Selmas Geschichte genüsslich zu dem Punkt treiben, an dem diese ihre Augen vor der Wahrheit nicht mehr verschließen konnte. Es würde nicht mehr allzu lange dauern. Dann würde Grace sich aus eigenem Antrieb auf die Suche nach ihrer Mutter machen. Und sie, Suzan, würde sich an ihre Fersen heften und eine längst fällige Rechnung begleichen. Dann endlich war der Augenblick der Genugtuung gekommen. Obwohl Suzan sich diesen Moment gerade in allen Einzelheiten ausmalte, bereitete ihr der Gedanke mit einem Mal nicht mehr jenes befriedigende Rachegefühl, das sie sonst in heißen Wellen durchströmt hatte. Sie stieß einen tiefen Seufzer aus. Es war äußerste Vorsicht geboten, denn sie hatte die junge Frau tatsächlich in ihr Herz geschlossen. Viel mehr, als es ihrem Plan zuträglich war.
Waikouaiti, April 1885
Selma hatte alle Hände voll zu tun, seit Misses Buchan bettlägerig war. Die alte Dame hatte es schließlich nicht mehr verheimlichen können, dass sie an einer Tuberkulose litt. Nur Antonias wegen hatte sie es letztendlich zugegeben. Das Kind durfte sich auf keinen Fall anstecken, und Miss Buchan konnte es deshalb nicht mehr in den Arm nehmen und küssen. Selma war überhaupt der einzige Mensch außer dem Hausarzt, den sie noch in ihre Nähe ließ.
Damit Selma alles schaffte, was im Kontor und bei der Betreuung der alten Dame anfiel, hatte sie sich eine Hilfe geholt. Harata hieß die junge Maori, die sich nun vornehmlich um Antonia kümmerte. Selma kam während des Tages kaum dazu, Zeit mit ihrer Tochter zu verbringen. Nur abends nach getaner Arbeit schaffte sie es, die Kleine kurz an sich drücken, aber dann fiel sie auch schon völlig erschöpft in ihr Bett. Selmas einziger Trost war, dass Harata Antonia abgöttisch liebte, was ganz auf Gegenseitigkeit beruhte, so wie die Kleine strahlte, wenn sich die Maori ihrer Wiege näherte.
Selma war froh, dass auch dieser arbeitsreiche Tag endlich zur Neige ging und sie nur noch die Post erledigen musste. Gleich der erste Brief, den sie öffnete, jagte ihr kalte Schauer über den Rücken. Adrian Wayne hatte Misses Buchan einen langen Brief geschrieben, in dem er sich wiederholt bedankte, dass sie an ihn als Architekten für ihr neues Domizil gedacht hatte, und in dem er ihr versicherte, dass er ihren Geschmack treffen werde. Ihre aufkeimende Schadenfreude konnte Selma allerdings nicht genießen, weil sie nur an einem interessiert war: Was war mit Damon geschehen?
Endlich, ganz am Schluss des Briefes, ging Mister Wayne auf den Tod seines Sohnes ein. Ein bedauerlicher Unfall, wie er schrieb. Selma wurde speiübel, während sie die folgenden verlogenen Worte las:
Es ist umso tragischer, dass sich dieser Zusammenstoß der Kutschen ereignet hat, als mein armer Sohn auf der Suche nach einem schrecklichen Frauenzimmer war, das ihm den Kopf verdreht hatte. Er wollte uns partout nicht glauben, dass diese Frau mit einem anderen Mann durchgebrannt war. Nahezu besessen war er von dem Gedanken, dieses Weib wiederzufinden. Er ist in jeder freien Minute wie ein Wahnsinniger kreuz und quer durchs Land gereist. Er war zum Schluss nur ein Schatten seiner selbst. So hat er letztlich ihretwegen sein Leben verloren und nicht nur seines, sondern auch das der von uns allen geachteten Mama Maata, unserer treuen Perle, die in seinen Haushalt gewechselt war und die ihn, der Himmel weiß warum, auf seiner Suche begleitet hatte.
Selma ballte die Fäuste und starrte regungslos vor Schmerz und Zorn auf diese niederschmetternden Worte, bis sie vor ihren Augen verschwammen. Das werdet ihr mir büßen, dachte sie hasserfüllt. Misses Buchan hatte recht. Sie wollte mehr! Sie wollte Rache üben. Auch für Damon und Mama Maata. Fortan würde sie nichts unversucht lassen, die Waynes ins Unglück zu
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