Das Geheimnis des letzten Moa: Neuseelandsaga (German Edition)
nicht funktionieren würde. Wenn die Gedanken erst einmal kreiselten, dann ging es in ihrem Kopf wie in einem Bienenstock zu, und sie kam nicht mehr zur Ruhe. Also stand sie auf, öffnete das Fenster und ließ die warme Sommerluft herein. Sie atmete ein paarmal tief durch und fragte sich verzweifelt, warum der Traum über ein Jahrzehnt verschwunden war und ausgerechnet jetzt wiederkehrte.
War doch etwas an Suzans Geschwätz dran, dass man mit alten Ängsten erst aufräumen konnte, wenn man seine wahren Wurzeln erforscht hatte? Grace schüttelte den Gedanken daran energisch ab. Was für Suzan galt, musste für sie keinerlei Bedeutung haben. In Suzans Geschichte ging es um das Drama eines unehelichen Kindes und um die damit verbundenen Verstrickungen. Bei ihr, Grace, lag der Fall doch ganz anders. Sie war schlichtweg adoptiert worden und hatte keinerlei Interesse, ihre leiblichen Eltern zu finden. Da gab es kein dunkles Geheimnis aus der Vergangenheit aufzuspüren, in dem die Ursache für ihre Albträume lag. Vielleicht hängt es ja alles mit Claudias Tod zusammen, mutmaßte Grace, und es schleicht sich nur etwas zeitversetzt in meine Träume. Natürlich, Wasser und Blut. Das ist die Lösung. Grace stutzte. Doch warum hatte sie diesen Traum schon mit Anfang zwanzig gehabt?
Seufzend ließ sie sich auf ihren Schreibtischstuhl fallen. Sie war hellwach, und bevor ihre Gedanken sie wieder quälten, wollte sie lieber ein wenig arbeiten. Doch sosehr sie auch auf jene Artikel starrte, die Suzan ihr über das Aussterben des Moa gegeben hatte, konnte sie sich nicht auf den Urvogel konzentrieren. Immer wieder schweiften ihre Gedanken zum gestrigen Abend ab. Der Name Moira Barclay wollte ihr nicht mehr aus dem Kopf. Sie hatte ein ungutes Gefühl dabei. Warum tat Ethan so etwas? Warum nannte er ihr plötzlich den Namen einer Frau, die ihr angeblich etwas über ihre Eltern sagen konnte? Das hatte er Suzan zwar nicht explizit ausrichten lassen, aber was konnte er denn anderes damit gemeint haben? Warum sollte sie sich wohl sonst an diese Frau wenden? Was sie im Nachhinein schwer wunderte, war die Tatsache, dass Suzan in keiner Weise kommentiert hatte, dass Ethan ihr nun freiwillig einen Hinweis auf ihre leiblichen Eltern gegeben hatte. Und warum hatte er ihr nicht einfach den Namen ihrer Mutter genannt, sondern nur den dieser Moira Barclay?
Die Gedanken summten dermaßen durch ihren Kopf, dass sie nicht mehr länger stillsitzen konnte. Sie sprang mit einem Satz auf und lief wie ein Tiger im Käfig durch das Zimmer. Sie konnte sich nicht helfen. Das wollte alles nicht so recht zusammenpassen. Mit einem Mal wusste sie, was sie zu tun hatte. Sie musste versuchen, Ethan zu erreichen. Auch wenn sie den festen Vorsatz gefasst hatte, ihn nicht anzurufen, solange sie in Neuseeland war. Aber er war der Einzige, der ihr bestätigen konnte, ob sich das Telefongespräch genauso zugetragen hatte, wie Suzan ihr weiszumachen versuchte. Sie konnte nichts dagegen tun. Da war es wieder: Dieses bohrende Misstrauen. Grace überlegte fieberhaft. In Deutschland war es jetzt später Nachmittag, aber selbst wenn er vor dem nasskalten Februarwetter auf die Kanaren geflüchtet sein sollte, müsste er dort längst gelandet sein. Und so, wie sie ihn kannte, schaltete er auf dem Flughafen als Erstes sein Handy ein. Ich muss mit ihm sprechen, dachte sie entschieden, sonst wird mein Misstrauen mich noch zerfressen.
Leise öffnete sie ihre Zimmertür und schlich sich an Suzans Schlafzimmer vorbei den Flur entlang und die Treppe hinunter. Sie wollte im Büro telefonieren, um zu vermeiden, dass ihre Gastgeberin etwas davon mitbekam. Was, wenn das alles nur Hirngespinste waren, die ihr als Folgen des entsetzlichen Albtraums durch den Kopf gingen? Überhaupt, was sollte Suzan für ein Interesse haben, sie zu belügen? Grace kam sich langsam selbst ein wenig überspannt vor. Trotzdem, sie brauchte die Gewissheit, denn das mit der Verwechslung der Stimme wollte ihr partout nicht aus dem Kopf gehen. Wieso verwechselte Ethan ausgerechnet Suzans Stimme und mit wem? Der einzig plausible Grund wäre, dass sich die beiden tatsächlich kannten.
Sie hatte keine andere Wahl. Sie würde erst wieder ruhig schlafen können, wenn sie aus seinem Munde gehört hatte, wie dieses Telefonat abgelaufen war, und vor allem, was hinter dem Hinweis auf diese Moira Barclay steckte, wenn der überhaupt von ihm stammte ...
Entschieden setzte sie ihren Weg fort. Unten in der Diele atmete sie
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