Das Geheimnis des letzten Moa: Neuseelandsaga (German Edition)
zu alt für sie ist ...«
»Harald Wilkens ist zehn Jahre älter, um genau zu sein«, unterbrach James das Geplapper seiner Cousine.
Fast so viel, wie der Altersunterschied zwischen James und mir, schoss es Antonia durch den Kopf.
»Jedenfalls ist er im Gegensatz zu uns uralt, aber seiner Familie gehört das größte Handelshaus in Dunedin, und es wird ein riesiges Fest. Es sind alle eingeladen, die in der Stadt Rang und Namen haben. Stell dir vor, Onkel Bertram hat sogar einen Ballsaal an seine Villa anbauen lassen, damit er vor der neuen Verwandtschaft angeben kann. Muss er auch, denn unsere Cousine Gloria ist nicht gerade eine Schönheit.«
»Und meine Cousine Anne ist ein kleines Lästermaul. Gut, Gloria ist ein wenig stämmig, aber wer es mag?«
Er schenkte Antonia einen warmherzigen Blick. »Ich ziehe allerdings das Reich der Elfen vor.«
Antonia wollte schlagfertig sein, etwas Lustiges erwidern, aber seine Worte trafen sie mitten ins Herz. O Himmel, ich bin verliebt, dachte sie und wusste vor lauter Verlegenheit gar nicht, wohin sie gucken sollte. Sie wandte sich um. Ihr Blick traf sich mit dem von Anne. Die gab ihr ein unauffälliges Zeichen, aus dem Antonia lesen konnte, dass James sich auch für ihr Dafürhalten mächtig ins Zeug legte.
Antonia aber traute sich nun nicht einmal mehr in seine Richtung zu sehen. Sie befürchtete, er werde es ihr an der Nasenspitze ansehen, wie sehr es sie erwischt hatte.
Deshalb blickte sie krampfhaft auf die vorbeiziehende Landschaft. Kurz darauf waren sie in der Stadt angekommen und hielten schließlich vor dem Haus der Medlicotts. Annes Mutter öffnete ihnen bereits aufgeregt die Tür.
»Ihr seid spät dran. Beeilt euch, ihr müsst euch noch umziehen.« Dann erblickte sie Antonia in ihrem Ballkleid. »Du siehst bezaubernd aus, mein Kind.«
»Mutter, ich konnte dich nicht vorher fragen, aber darf sie mit?«
»Ich kann sie doch schlecht in diesem wunderschönen Kleid wieder nach Hause schicken«, entgegnete Misses Medlicott mit weicher Stimme.
Antonia schluckte trocken. So eine Mutter hätte sie auch gern. Misses Medlicott war immer für ihre Tochter da und begegnete auch ihr, Antonia, mit mütterlicher Fürsorge. Als sie zum Schulfest alle etwas zum Essen hatten mitbringen sollen, hatte Misses Medlicott auch für Antonia etwas gezaubert, weil Selma wieder einmal verhindert war. Wenn ich es recht bedenke, war Mutter niemals zu einem der Feste in der Schule gekommen, schoss es Antonia durch den Kopf.
»Vielen Dank, Misses Medlicott«, sagte sie mit belegter Stimme. Zu dumm, dass ihr ausgerechnet jetzt zum Weinen zumute war. Sie konnte doch unmöglich vor James Henson wie ein kleines Mädchen in Tränen ausbrechen.
»Anne, James, nun zieht euch aber schnell um. Die Kutsche kommt gleich.«
»Kutsche? Soll ich euch nicht in meinem Automobil mitnehmen?«
»O nein, lieber James, lass es uns machen wie immer. Ich traue diesen Ungetümen nicht. Und ich habe mir sagen lassen, man braucht einige Zeit, um sie in Gang zu bringen.«
»Ach Tantchen, die braucht man auch, um Pferde anzuspannen.«
»Nein, nein, wir fahren alle zusammen mit der Kutsche. Keine Widerrede. In einer halben Stunde. Schafft ihr das?«
Anne und James nickten und entschuldigten sich. Nun waren Antonia und Misses Medlicott allein. Die Dame des Hauses trug auch bereits ihre Abendgarderobe. Sie ist lange keine so elegante Erscheinung wie meine Mutter, dachte Antonia, aber man möchte sie immerzu in die Arme nehmen. Das Bedürfnis habe ich bei Mutter nicht. Nein, Antonia erinnerte sich nicht, wann sie ihre Mutter das letzte Mal geherzt und geküsst hatte.
»Ach, mein Kind, ich habe dir noch gar nicht gratuliert.« Und als würde sie Antonias geheime Wünsche erraten, nahm sie sie herzlich in die Arme. Dann holte sie aus der Anrichte ein Päckchen hervor und reichte es Antonia. Wieder musste sie gegen die Tränen ankämpfen. Misses Medlicott hatte sogar ein Geschenk für sie. Ganz im Gegensatz zu ihrer eigenen Mutter.
»Für mich?«, fragte sie gerührt.
»Nur eine Kleinigkeit«, entgegnete Annes Mutter bescheiden, wie sie nun einmal war.
Als Antonia die Schachtel öffnete, traute sie ihren Augen nicht. Darin lag eine Brosche aus einem in Silber gefassten roten Stein, die zu diesem Kleid wie gemacht war.
»Die ist ja wunderschön«, hauchte Antonia. Jetzt konnte sie ihre Tränen nicht länger zurückhalten. Mit zittrigen Fingern steckte sie sich das Schmuckstück an.
»Danke«, schluchzte sie.
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