Das Geheimnis des letzten Moa: Neuseelandsaga (German Edition)
bei ihm nie genau wissen. Aber er kommt gut bei den Frauen an«, entgegnete Anne ungerührt.
Empört fuhr Antonia hoch. »Was willst du denn damit sagen? Du bist mir vielleicht eine Freundin!«
»Ich meine nur. Wenn es nach meinem Onkel ginge, wäre er längst verheiratet. Schließlich ist er im besten Alter: sechsundzwanzig. Aber sehr wählerisch, was die Dame seines Herzens angeht, sagt meine Tante immer.«
»Ich will ihn ja nicht gleich heiraten. Ich habe nur gesagt, dass er mir gefällt!«, fauchte Antonia.
»Entschuldige, ich wollte dich nicht kränken. Wir werden heute Abend mal sehen, wie oft er mit dir tanzt.«
»Wenn ich überhaupt mitgehen darf.«
»Warum nicht?«
»Meine Mutter wird es nicht erlauben, und außerdem ...« - Antonia sprang unvermittelt aus dem Bett und riss ihren Schrank auf - »... habe ich nichts zum Anziehen. Ich war noch nie auf einem Ball. Sieh selbst! Ich kann doch nicht in Rock und Bluse tanzen gehen.«
Unwillig folgte Anne ihr und warf einen skeptischen Blick auf die Kleider der Freundin.
»Du hast recht. Aber lass den Kopf nicht hängen. Du kannst ein Kleid von mir ausleihen und ...« Sie stockte und schaute die Freundin fragend an.
Antonia legte die Stirn in Falten. »Das ist lieb von dir, aber ich glaube, das ist keine Lösung.«
Niemals passen mir ihre Kleider, dachte Antonia. Anne war mittelgroß und eher rundlich, während sie, Antonia, ganz nach ihrer Mutter kam. Sie war klein und zierlich. Mutter? Bei dem Gedanken leuchteten Antonias Augen. »Komm, ich glaube, ich weiß was.« Aufgeregt zog sie ihre Freundin zum Schlafzimmer der Mutter und öffnete den Schrank. Sorgfältig aufgereiht hingen dort jede Menge festlicher Kleider. Kleider, an die sich Antonia nur noch dunkel erinnerte. Ich muss noch ein Kind gewesen sein, als Mutter sie zum letzten Mal getragen hat, dachte Antonia. Sie ist zum Gutenachtsagen an mein Bett gekommen, sie duftete herrlich und sah aus wie eine Prinzessin.
Die Freundinnen zogen ein Kleid nach dem anderen hervor und beäugten es kritisch.
»Sie sind schön, aber ein bisschen altmodisch«, bemerkte Anne schließlich.
»Ich bleibe zuhause«, stöhnte Antonia auf, doch dann entdeckte sie in der hintersten Schrankecke ein rotes Kleid, dessen Anblick ihr Herz höher schlagen ließ. »Sieh nur, wenn Harata die Spitze am Arm wegnimmt, dann könnte das sehr hübsch aussehen.«
»Zieh es erst einmal an.« Anne schien die Begeisterung der Freundin nicht zu teilen.
Antonia ließ sich von Anne in das rote Kleid helfen und drehte sich zweifelnd vor dem Spiegel. Sie kam sich plötzlich wie eine Lady vor.
»Das kleidet dich großartig!«, rief Anne überrascht und ehrlich begeistert aus. »Und wenn Harata noch die Spitzen an den Trägern entfernt, kommt auch dein Dekollete besser zur Geltung«, fügte sie aufregt hinzu.
»Dann nichts wie los!«, entgegnete Antonia übermütig.
»Aber doch nicht in dem Kleid. Stell dir vor, wir begegnen James. Er darf dich nicht in dem Kleid sehen ...«
»... auf keinen Fall, denn er wird glatt in Ohnmacht fallen.« Antonia lachte, schälte sich aus dem Festkleid und zog sich wieder das Nachthemd an.
Nachdem sich die Freundinnen fertig angekleidet hatten, suchten sie Harata in der Küche auf. Wie einen Schatz trug Antonia das rote Kleid über dem Arm.
»Harata«, säuselte sie. »Kannst du dem Kleid die Rüschen abnehmen? Ich würde es gern heute Abend tragen.«
Harata erschrak, als sie das rote Kleid erkannte. Sie erinnerte sich daran, als sei es gestern gewesen, als Selma in diesem Kleid nach Hause gekommen war. Durchnässt und totenbleich, mit einem Gesichtsausdruck, als habe sie ein Gespenst gesehen. »Ziehen Sie bloß das Kleid aus. Ich richte es Ihnen wieder her«, hatte sie Misses Selma angeboten, aber die hatte nur müde abgewunken. »Ich brauche keine Ballkleider mehr. Ich will nicht Gefahr laufen, ihm noch einmal in meinem Leben zu begegnen.« Dann hatte sie plötzlich wütend geschrien: »Verdammt, er wird immer wieder auf die Füße fallen! Und die Frauen sind so dumm und vertrauen ihm. Er hat es tatsächlich gewagt, mir hinter dem Rücken seiner jungen Frau Avancen zu machen. Widerlich!« Danach war Misses Selma nie wieder zu einer Gesellschaft gegangen. Und Harata hatte bis heute nicht erfahren, über wen die Missy dermaßen geflucht hatte.
»Ich weiß nicht, ob es deiner Mutter recht ist. Und überhaupt, wer sagt dir denn, dass ich dir erlaube, auf dieses Fest zu gehen?«
Antonia zog einen
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