Das Geheimnis des Nostradamus
Schneider beauftragt, aus edlen Stoffen neue Kleider zu nähen, und die kleine Wohnstätte von Nostradamus und Marie wurde mit repräsentativen Möbeln ausgestattet. Sogar ein bergamaskischer Teppich wurde im Salon ausgelegt. Zahlreiche kunstvoll eingefasste Spiegel waren dort aufgehängt, sodass der Raum noch heller wirkte, wenn Sonnenlicht über das Spiegelglas strich und so seinen Glanz weitergab. Schon bald waren die hohen Eichenregale mit schweinsledernen Büchern und neuesten Druckerzeugnissen voll gestopft. Die bahnbrecherische Erfindung des Buchdrucks vor ein paar Jahrzehnten erwies sich als wahrer Segen.
Obwohl Nostradamus keinerlei Wert auf überflüssigen Firlefanz legte, kaufte er Kunstwerke aus der Italienischen Schule mit mythologischen Darstellungen, wollte er doch hochgestellten Besuchern einen würdigen Empfang bereiten. Marie wurde als seine Nichte vorgestellt, deren Eltern bei der schwarzen Pest in Agen tragischerweise ums Leben gekommen waren.
Sie traf sich jeden Tag mit Lucie, der sie ihre schreckliche Vermutung über Manuels Geheimnis anvertraute. Allerdings behielt sie für sich, dass Nostradamus jüdische Vorfahren hatte. Auch erzählte sie von dem unheimlichen Mord in der Kathedrale und Lucie erfuhr durch geschicktes Nachfragen in der Taverne, dass niemand eine Leiche vor der Marienstatue entdeckt hatte. Irgendjemand musste sie noch bei Nacht weggeschafft haben…
Die beiden wuchsen in ihren Seelen zusammen wie leibliche Schwestern, die keinerlei Gefühlsregung voreinander verbergen konnten. Fast täglich gingen sie zu Ämtern und fragten nach Lucies verschollenem Bruder Pierre, aber niemand hatte etwas von ihm gehört.
»Er kommt bestimmt zurück«, meinte Lucie jedes Mal in beharrlichem Glauben.
»Er kommt ganz bestimmt zurück«, antwortete dann Marie und legte zärtlich den Arm um sie.
An diesem Herbsttag war das Firmament von einem leuchtenden Blau, als hätte ein Nachtmahr die düsteren Wolken einfach vom Himmel gewischt und mit sich ins Schattenreich genommen. Der Marktplatz war schon früh am Morgen von fahrenden Händlern bevölkert, die ihre Waren aufbauten. Seidenstoffe und glitzernde Kristalle lagen neben Tischen mit blutigen Ziegenköpfen und gedrechseltem Zedernholz. Marktweiber schleppten verbogene Drahtkörbe mit gackernden Hühnern herbei. In Handwagen wurden schillernde, sich aufbäumende Fischleiber herbeigekarrt. Enthäutete Kaninchen baumelten kopfüber von Bretterbuden, die blutigen Muskeln und Sehnen glänzten in der frühen Morgensonne. Daneben stand auf einem wackeligen Stuhl ein Wunderdoktor mit einem Bauchladen. Er pries heilende Tinkturen für Weiber an, die unsinniges Zeug daherplapperten, wenn ihre Gebärmütter unter dem Einfluss des Mondes die Körpersäfte stark in sich hineinzogen, um sie dann von sich zu geben. Etwas weiter drängte sich ein Grüppchen verlauster Bauern mit Seefahrern vor einem Wahrsager, der auf einem hölzernen Podest marktschreierisch aus seinen Traktaten vorlas.
Ein Geruch nach Thymian und geröstetem Fleisch wehte über den Marktplatz, der jetzt von der wärmenden Morgensonne überflutet wurde. Maries kupferfarbenes Haar leuchtete schon von Weitem wie die blank gescheuerten Kessel aus der Taverne. Kleine Lockenkringel fielen über das neue Schultertuch, das in zartgrüner Farbe aufschimmerte. Als Nichte eines hoch angesehenen Gelehrten brauchte sie sich nicht der ständischen Kleiderordnung zu fügen und im ewigen Lumpenbraun der unteren Stände herumzulaufen. Sorgfältig rückte sie emaillierte Töpfchen und Tiegel auf dem Holztisch zurecht, während sie immer wieder einen verstohlenen Blick hinüber zur Kathedrale warf. Aber nichts Auffälliges war zu entdecken. Dann legte sie einen Stapel neuer astrologischer Schriften, die Nostradamus verfasst hatte, zum Verkauf aus. Fast liebevoll strich sie über das Papier, das von einer der neuen Druckerpressen bedruckt worden war.
In letzter Zeit genossen Astrologen nämlich ungeahnten Ruhm, und auch Nostradamus hatte es endlich gewagt, gewisse Prophezeiungen zu veröffentlichen. Es hieß, diese Zeiterscheinung hätte mit der Heirat von Katharina von Medici in die königliche Familie zu tun, hatten die Medicis doch eine besondere Vorliebe für Astrologie und magische Zirkel. Weise Seher hatten für sie sogar ein Kartenspiel kreiert, das mit Symbolen bemalt war und aus deren Anordnung zueinander Voraussagungen zu treffen waren. Man munkelte sogar, dass die französischen Schlösser und
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