Das Geheimnis des Nostradamus
Schloss gelesen. Ich weiß es von Jacques, einem Poeten aus dem erlesenen Kreis La Pléiade, wo sie von Hand zu Hand weitergegeben werden.« Jetzt strich er heftiger über die Saiten, als wollte er seine flüsternde Stimme übertönen. »Aber es gibt Neider, die Nostradamus einen Ketzer und Zauberer nennen. Einer hat ihn sogar verdächtigt, einen Pakt mit dem Teufel geschlossen zu haben.«
Eine seltsame Melodie in ungewohnter Tonfolge durchzog wie fein gesponnenes Gewebe die Kammer. Ein süßlicher Duft von Feigen und Honig vermischte sich mit dem tranigen Geruch des verbrannten Öls aus der Funzel.
Als das Unwetter sich ausgetobt hatte, tröpfelte nur noch ein feiner Nieselregen vom Firmament, an dem vereinzelt Sterne aufblinkten. Marie drängte sich mit dem Spielmann und Lucie, die sie heimbegleiteten, eng an Hauswänden vorbei. Gassen und Wege, die nicht gepflastert waren, hatten sich in eine morastige Schlammbrühe verwandelt. Der Unrat schwamm aufgeweicht in Schmutzbächen davon, die hinunter in die Garonne abgeleitet wurden.
Schon ein paar Tage später ließ Nostradamus eine Reisekutsche anspannen, um mit dem Elixier zum königlichen Schloss der Valois von Tarascon aufzubrechen. Marie hatte alle Überredungskünste angewandt, um mitfahren zu dürfen. Und endlich waren ihre Ledertaschen auf dem Kutschendach verschnürt und Marie konnte sich neben Nostradamus auf die gepolsterte Sitzbank fallen lassen. Zufrieden zupfte sie ihr bequemes Reisekleid zurecht, das nur mit einem Ledergürtel zusammengehalten war.
»Pass gut auf die Wohnung auf«, rief sie Lucie zu, die während ihrer Abwesenheit nach dem Rechten schauen sollte. Lucie strahlte. Ihr blondes Haar umspielte ihr zart gerötetes Gesicht, das im frühen Morgenlicht wie durchsichtiges Wachs schimmerte.
»Keine Angst, ich werde sie hüten wie meinen Augapfel!« Lucie winkte ihr übermütig zu.
»Und kommt gesund zurück!«, rief Monsieur Bandon, der aufgeregt seinen dunklen Hut zwischen den Händen drehte. Sein Gesicht war verschwitzt, der zottelige Bart bauschte sich über seinem Stehkragen. »Und berichtet, was Königin Katharina von Medici von dem neuen betörenden Parfüm zu berichten hat!«
Der Kutscher hockte gebeugt und in eine Pferdedecke gehüllt auf dem Kutschbock und ließ die Lederpeitsche zwischen seinen Fingern hin und her wandern. Zwei dunkelbraune Stuten tänzelten in ihrem Geschirr unruhig auf der Stelle, bis Nostradamus endlich das Zeichen zur Abreise gab. Mit lautem Schnalzen und Peitschenknallen wurden sie angetrieben. Ein Ruck – und die Kalesche setzte sich in Bewegung. Langsam trabten die jungen Pferde über das Marktpflaster, während Marie einen letzten Blick zur Kirche Saint-Michel hinüberwarf. Die hohen Pforten waren geschlossen. Die steinerne Fratze schien ihr spöttisch die lange Zunge rauszustrecken. Erleichtert atmete sie auf, jetzt konnte ihr wirklich nichts mehr passieren! Behaglich lehnte sie sich in die Kissen zurück und genoss den Blick auf die vorbeifliegende Landschaft. In den hügeligen Weinbergen arbeiteten Bauern, die mit ihren hohen Weidenkörben wie kleine Spielzeugfiguren zwischen den Rebstöcken hin und her tanzten, um die reifen Trauben zu pflücken. Ob es beim königlichen Schloss auch Weinberge gab? Aber Pfauen mit schillerndem Gefieder sollten in den großzügig angelegten Gärten auf jeden Fall herumstolzieren, zwischen Orangenhainen mit goldgelben Früchten und violetten Stauden. Vielleicht fand ja auch gerade ein Ritterturnier statt. Oder eine italienische Schauspielertruppe amüsierte den Hof bei einem bunten Maskenball…
»Was ist das eigentlich für eine Frau, diese Katharina von Medici?«, fragte sie plötzlich Nostradamus, der wieder in alten Schriften blätterte.
»Katharina von Medici?« Nostradamus legte nachdenklich die Abhandlungen beiseite. »Nun ja, sie ist eine äußerst willensstarke Persönlichkeit. Schon seit frühester Kindheit war sie verwaist. Und da hat ihr Großonkel, Papst Clemens VII. höchstpersönlich den Bund zwischen Italien und Frankreich geknüpft: Mit vierzehn Jahren ist sie in Marseille Heinrich II. angetraut worden.«
»Mit vierzehn Jahren? Und Heinrich? War er auch schon so alt, wie Ihr es wart, als Ihr… als Ihr…« Marie stockte. Schamesröte stieg wie glühende Morgenhitze in ihr Gesicht.
Nostradamus lächelte verschmitzt. »Nein, nicht so ›uralt‹ wie ich, vierzig Jahre! Heinrich war vierzehn, als sie heirateten. Genauso alt wie sie.«
Marie schüttelte
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