Das Geheimnis des Rosenhauses - Roman
Schultern hoben und senkten sich, raue Atemgeräusche stiegen aus ihrer zerschundenen Kehle. Die Exzellenzen zogen ihre Arme wieder ein.
»Es ist vollbracht«, sangen sie. »Ihr habt Eure Braut wieder, Prinz Dorvid. Nehmt ihr die Fesseln ab und pflegt sie gut. Sie wird schwach sein, wenn sie erwacht, und bestimmt auch verwirrt.«
Der Prinz kniete am Lager seiner Liebsten, befreite sie von den Fesseln und strich ihr zärtlich über das zerkratzte Gesicht.
»Wird sie wieder ganz so werden wie zuvor?«, fragte er mit Tränen in der Stimme.
»Gebt die Hoffnung niemals auf!«, sangen die Exzellenzen, eine Äußerung, die nicht gerade vielversprechend klang.
»Ihr seid die Kinder der Verräterin Graviata?«, sangen die Stimmen weiter. Die Frage schien an alle Hexenkinder gerichtet zu sein, doch Lulu fühlte die Aufmerksamkeit der dämonischen Polizisten ganz auf sich gerichtet.
»Ja«, sagte sie. »Bloß dass Mama, ich meine Graviata, keine Verräterin ist.«
»Willst du damit sagen«, tönte drohend der Chor, »dass wir einen Fehler gemacht haben?«
»Vielleicht ein Irrtum?«, flüsterte Lulu.
»Sprich, Hexenkind!«
Lulu erzählte die ganze Geschichte, natürlich nur, soweit sie sie kannte, doch das war eine ganze Menge. Die anderen nickten hin und wieder bekräftigend. Der Kronprinz kniete am Bett seiner Braut und streichelte sie zart.
»So muss es gewesen sein!«, rief er dumpf, als Lulu geendet hatte. »Alles passt! Ach Graviata, meine Freundin, was haben wir Euch angetan!«
Die Hexenpolizisten wogten hin und her wie schwarze Schwaden, vielleicht ein Zeichen, dass sie überlegten, hoffte Lulu.
Dann heulte eine hohe, quengelige Stimme: »Ich hab’s euch ja gesagt. Schon damals hab ich es gesagt, wir können diese Graviata nicht einfach verhaften, nur weil der König es will. Wir müssen abwarten, hab ich gesagt!«
»Du immer mit deinem Abwarten!«, keifte eine andere Stimme. »Du machst mich krank mit deinem Abwarten!«
»Aber ich hatte recht!«
»Und das werden wir jetzt die nächsten tausend Jahre von dir zu hören bekommen!«
»Ich hatte recht! Ich hatte recht! Ich hatte rehecht!«
»Eintracht im Fühlen, Eintracht im Singen, Eintracht im Urteil!«, sang beschwörend die dritte Stimme.
Trotzige Stille antwortete ihr.
Sie wiederholte ihr Lied noch etwas drängender. Zögernd fielen die beiden anderen ein, doch es dauerte eine Weile, bis sie in ihre einträchtige Stimmlage zurückgefunden hatten.
»Die Hexen Graviata und Clarisse werden von uns verhört werden. Ebenso die Köchin … äh …«
»Else.«
»Ebenso die Köchin Else. Wenn sich eure Angaben bestätigen, wird die Hexe Graviata aus dem Felsenkerker entlassen und wieder in Amt und Würden eingesetzt. Soldaten des Königs, bringt die Köchin und ihre Hexenherrin in den Felsenkerker! Wir werden euch dorthin begleiten! Nun macht schon! Worauf wartet ihr noch!«
Die Soldaten hatten nur ein wenig Zeit gebraucht, um sich von dem Schauspiel, dessen Zeugen sie gewesen waren, zu erholen. Nun packten sie Clarisse an Armen und Beinen, nahmen Else in ihre Mitte und verließen den Raum. Else ging mit gesenktem Kopf, ohne die Kinder noch einmal anzuschauen.
»Exzellenzen!«, rief der Prinz, als der Zug mit den Gefangenen schon fast das Zimmer verlassen hatte.
»Was ist denn jetzt noch?«, sangen die Stimmen entnervt.
»Nur eine kleine Bitte. Seid so gnädig und entlasst Graviata so schnell wie möglich aus ihrer Haft. Die Königin und ich, wir brauchen sie dringend hier. Und meine Nassia auch! Und die Kinder auch«, setzte er hinzu.
Die rauchigen Gestalten der Hexenpolizisten waberten in ihren Kapuzen, was hoffentlich Zustimmung bedeutete. Dann waren sie fort. Es war wieder still. Die kleine Uhr tickte, sie war noch heil, einiges andere war zu Bruch gegangen.
Der Prinz malte mit dem Fuß ein Muster in die Scherben auf dem Teppich. »Wollt ihr euer altes Haus wiederhaben?«, fragte er. »Es ist aufgeräumt worden nach eurem, äh, Auszug. Eure Sachen sind nicht mehr drin, aber sonst ist alles bereit. Was noch fehlt, wird geliefert. Ich lasse euch hinbringen, wenn ihr wollt. Die Speisen werden euch aus der Palastküche geliefert, vorerst habt ihr ja keine Köchin.« Das alles klang eher nach einer Bitte als nach einem Angebot.
Die Hexenkinder berieten sich stumm. Eigentlich fanden sie alle, dass es würdevoller wäre, »nein danke« zu sagen und den Palast zu verlassen. Andererseits könnten sie in dem schönen Haus im Palastgarten Graviata einen
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