Das Geheimnis des Rosenhauses - Roman
nichts geblieben war als ein paar Tränen in gläsernen Fläschchen.
Rosa zeigte uns, wie man die Fläschchen vorsichtig ins Versteck tat und das Dielenbrett verschloss. Dann legte sie sich wieder auf ihr Bett. Das lange Gespräch mit uns und der Schwur hatten sie erschöpft. Sie wurde schnell müde. ›Blutarmut‹, sagte sie und lächelte schief.
Robert und ich vertrieben uns die Zeit mit Spielen. Später erst entdeckten wir die Bücher. Wir hatten ihnen erst keine Beachtung geschenkt, da wir nicht lesen konnten, doch es waren Sprechende Bücher, die wir bis dahin noch nicht gekannt hatten. Sie wurden unsere Freude und unser Trost. Ohne sie wären wir vielleicht verrückt geworden.«
Graviata machte eine Pause. Die Rattenkinder waren still.
»Das Frühstück wurde immer um neun Uhr morgens gebracht. Es war wirklich sehr reichhaltig, wie Clarisse es versprochen hatte. Es gab Fruchtsäfte, Getreidebrei, Brot, Eier und Obst. Abends um sieben bekamen wir eine warme Mahlzeit und auch die war gut. Oft hatten wir süße Eierkuchen, Waffeln mit Honig und Sahne, geröstete Kartoffeln mit Würstchen, alles, was Kinder mögen. Robert und ich hatten noch nie so gut gegessen. Eine Magd brachte die Speisen, schob sie auf einem Tablett durch eine Klappe in der Tür, das benutzte Geschirr gaben wir zurück, wenn sie die nächste Mahlzeit brachte. Am ersten Tag flehte ich sie durch die Klappe an, uns zu helfen. Doch die einzige Antwort, die ich bekam, bestand in einem leisen Schnüffeln.
›Es ist zwecklos‹, sagte Rosa. ›Sie hat furchtbare Angst vor Clarisse. Und draußen, außerhalb vom Rosenhaus, kann sie nicht reden über das, was hier geschieht. Clarisse hat sie mit einem Bann belegt.‹
Es schien, als hätte Clarisse an alles gedacht. Sie selbst kam fast jeden Vormittag und holte Rosa ins ›Behandlungszimmer‹. Wenn sie zurückgebracht wurde, war sie noch durchscheinender als vorher und legte sich sofort auf ihr Bett.
Clarisse tat dann immer sehr besorgt. ›Du musst viel trinken, Liebes‹, sagte sie und reichte ihr selbst den Becher. Wenn sie so war, hassten wir sie am meisten.
Nachmittags durften Robert und ich oft hinauf auf die Plattform, Rosa hätte auch gedurft, aber sie fühlte sich meistens zu schwach. Das Treppensteigen fiel ihr schwer, zumal wir immer, wenn wir unser Zimmer verließen, diese furchtbar schweren Beine hatten, als schleppten wir Eisenketten mit uns herum.
Die Aussichtsplattform war rundum mit einem Gitter gesichert. Keiner von Clarisses kostbaren Blutlieferanten hätte sich von da oben in den Tod stürzen können. Doch die Aussicht war wundervoll. Ich hasste das Rosenhaus, ich hasste Clarisse und ihre Blumen, aber trotzdem liebte ich es, da oben zu stehen und über die Felder zu schauen. Ich konnte mich selbst nicht verstehen. Vielleicht lag es ganz einfach daran, dass es so schön war. Trotz all des Grauens war es schön. Vom Turm aus konnte man die ganze Anlage überblicken, die sieben roten Felder wie die Zacken eines Sterns und im Zentrum das Rosenhaus mit seinen leuchtenden Fenstern und Kaminen. Clarisse war ungeheuer stolz auf ihr Anwesen, ständig gab sie Erklärungen dazu ab. Sie hatte überhaupt keine Befürchtungen, dass eins ihrer Kinder jemals mit einer Person von außerhalb darüber würde sprechen können.
Bereitwillig zeigte sie mir eines Nachmittags ein flaches Häuschen am Fuß des Hügels, in dem die Bewässerungsanlage untergebracht war, das Herz ihrer Anlage, wie sie betonte. Von dort aus wurde das Wasser mit der notwendigen Beimischung Kinderbluts unterirdisch in die Felder gepumpt.
›Wie kommt das Blut da hinein?‹, wollte ich wissen.
›Man geht in das Häuschen, natürlich nur, wenn man einen Schlüssel hat.‹ Sie klirrte mit ihrem Bund. ›Und gießt es durch einen Einfüllstutzen in das Reservoir. Ganz einfach.‹
Ganz einfach, in der Tat, und doch unendlich schwer.
Clarisse lächelte. ›Es muss dir doch Freude machen, wenn du siehst, welch wundervolle Blumen ich mithilfe eures Blutes züchte. Außerdem haben sie ganz außerordentliche Kräfte. Jeder, der Rosen bei mir kauft, bleibt jung. Weil Kinderblut in ihnen fließt. Freut dich das nicht?‹ Sie meinte das tatsächlich ernst. ›Meine Rosen sind kostbar. Eine Helena bringt mir zwölf Goldstücke und eine Rubina oder eine Serena immerhin zehn.‹
›Die Rosen haben Namen?‹
›Alle Rosen haben Namen, Dummchen. Schau dort hinüber, gleich beim Haus, das neu angepflanzte Beet. Siehst du diese
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