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Das Geheimnis des Rosenhauses - Roman

Titel: Das Geheimnis des Rosenhauses - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annette John
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was man von der Pracht ihrer Rosen sagt, davon ist jede Silbe wahr. Wir schauten und staunten, halb betäubt vom Blütenduft.
    Der Wagen näherte sich einem Haus. Es war riesig, das größte Haus, das ich je gesehen hatte. Sieben Fenster prangten an der Front, drei unten, drei oben, eins in der Mitte. Ihr Glas war rot. Als die ersten Strahlen der aufgehenden Sonne es trafen, zuckte es leuchtend auf, als lebte es. Aus dem Dach des Hauses ragten sieben Kamine, jeder mit einem kleinen roten Spitzdach verziert.
    Das Rosenhaus, wie sehr habe ich es gehasst! An diesem Morgen hasste ich es noch nicht, ich fühlte auch keine Furcht, nur so eine Art Befremden. Im Traum hat man manchmal so ein Gefühl. Man sieht etwas, etwas Vertrautes wie ein Haus zum Beispiel, und weiß gleichzeitig, dass es das Fremdeste ist, was man je erblickt hat.
    Wir fuhren daran vorbei, einen Hügel hinauf, die Rosenfelder blieben unter uns zurück. Der Hügel war mit einem kurz geschorenen, gepflegten Rasenteppich bewachsen. Robert und ich kamen von einem Bauernhof, und wir konnten ungefähr ahnen, was es bedeutete, Gras so zu scheren, dass es wie ein Teppich wuchs. Oben auf dem Hügel stand ein Turm, ein dunkles, äußerst merkwürdiges Gebäude. Erst später ging mir auf, was ihn so seltsam unausgewogen erscheinen ließ: Seine Grundfläche war ein Siebeneck.
    Clarisse ließ den Wagen halten, sprang vom Bock und öffnete den Wagenschlag. ›Aussteigen!‹, befahl sie knapp. Wir gehorchten, wir konnten nicht anders. An Flucht war nicht zu denken, unsere Beine waren schwer wie Blei. Sie schloss die Tür des Turms auf und winkte uns. Schwerfällig schlurften wir hinein, hinter uns fiel krachend die Tür ins Schloss.«
    »Kawumm!«, riefen die Rattenkinder.
    »Zwielicht herrschte im Inneren des Turms. Wir standen in einem kahlen, steinernen Raum. In einer Nische stapelten sich Kisten und Säcke. ›Samen und Dünger für die Rosenzucht‹, erklärte Clarisse. ›Ich brauche das natürlich nicht, aber ich bestelle hin und wieder etwas, um den Schein zu wahren. Ihr versteht.‹
    Nichts verstanden wir, ratlos blickten wir uns um. Man konnte nicht, wie in vielen anderen Türmen, von unten bis ganz nach oben schauen, dieser hier war in Stockwerke unterteilt. Eine schmale Wendeltreppe stieg in einer der sieben Ecken steil nach oben. Durch die Fensterchen im Treppenhaus fielen Sonnenstrahlen schräg herab und vermischten sich mit dem grauen Licht des Erdgeschosses. Trotz ihrer Winzigkeit waren alle Fenster vergittert.
    Clarisse trieb uns die Wendeltreppe in den ersten Stock hinauf und öffnete eine Tür in eine Art Vorzimmer, an dessen Wänden entlang eine Menge Truhen standen. Sie zündete eine Kerze an und schritt sie ab. Nachdenklich hob sie einen Deckel, schloss ihn wieder, ging weiter zur nächsten Truhe. ›Lavinia‹, murmelte sie, ›das ist gut.‹ Sie öffnete die Truhe, zog einen Packen voll Kleider und Wäsche heraus und drückte mir alles in die Arme. ›Das müsste dir passen‹, meinte sie. Robert bekam ein Kleiderbündel aus einer Truhe, die sie mit ›Cassio‹ bezeichnete.
    So beladen verließen wir das Zimmer und stiegen weiter hinauf. ›Im zweiten Stock liegen die Küche und das Behandlungszimmer‹, erklärte Clarisse. ›Vorerst werdet ihr das noch nicht betreten.‹
    Im dritten Stock endlich führte sie uns durch eine düstere Diele, schloss eine weitere Tür zu einem großen Zimmer auf. ›Euer Zuhause, meine Lieben‹, erklärte sie im Ton einer freundlichen Pensionswirtin. ›Macht es euch gemütlich. Um neun wird euch ein reichliches Frühstück gebracht, das für den ganzen Tag vorhält. Abendessen gibt’s um sieben.‹ Ihr Ton schlug um. ›Falls ihr auf die Idee kommen solltet, zu lärmen und zu toben‹, sagte sie kalt, ›nehmt zur Kenntnis, dass euch niemand hören wird. Die oberen Stockwerke sind selbstverständlich unbewohnt und draußen gibt es im Umkreis von Meilen keine Nachbarn. Wenn ihr euch hingegen ordentlich betragt‹, setzte sie etwas freundlicher hinzu, ›dürft ihr jeden Nachmittag für eine Stunde oben auf der Plattform spielen.‹
    Sie nickte uns noch einmal zu, dann verließ sie uns und drehte von außen den Schlüssel um. Kein Zweifel, wir waren in einem Gefängnis. Zwar ganz nett eingerichtet, aber ein Gefängnis. Es war ein ziemlich großer Raum, offensichtlich an der Außenseite des Turms gelegen, denn es gab ein Fenster. Doch das war verschlossen, vergittert und von außen mit schweren Läden gesichert.

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