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Das Geheimnis des Rosenhauses - Roman

Titel: Das Geheimnis des Rosenhauses - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annette John
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unruhig, hast gebrabbelt. Woher kennst du das Wort borleif ?«
    Schlaftrunken setzte Lulu sich auf. Ihr Mund war staubtrocken.
    Graviata reichte ihr ein Glas Wasser. »Nun?«, fragte sie.
    Lulu trank das Glas auf einen Zug leer. »Sieh mich an!«, forderte sie ihre Mutter auf. »Sieh meine Aura an! Sieh genau hin!«
    »Was soll das, Lulu? Deine Aura ist gut, wie immer!«
    »Kein kränklich grüner Schein?«
    Graviata sog scharf die Luft ein. »Wie kommst du denn auf so etwas?«
    »Jovinda hat gesagt, ich trage den Schein«, brach es aus Lulu heraus. »Ein fürchterliches Unglück wird uns treffen. Eine Veränderung zum Schlechten, hat Jovinda gesagt. Und jetzt willst du mit uns in die Stadt ziehen. Das ist doch eine Veränderung. Ach, Mama, wir dürfen dort nicht hin, ich trage den Schein!« Schluchzend stürzte sich Lulu in Graviatas Arme.
    Die streichelte sie, murmelte leise die zärtlichen Worte, die sie benutzt hatte, als Lulu noch ein Baby war, und ließ sie weinen. Als Lulu nicht mehr gar so sehr schluchzte, hielt Graviata ihre Tochter auf Armeslänge von sich, mitten vor das Licht einer Lampe, und betrachtete sie scharf und lange.
    »Nichts!«, sagte sie. »Kein Schein. Nicht die Spur eines Scheins.«
    »Wirklich nicht?«
    »Natürlich nicht!«
    Graviata atmete tief ein, ließ Lulu los und begann mit schnellen Schritten den Raum zu durchmessen. Sie trug immer noch Reitstiefel, ihre Absätze klackten auf dem Dielenboden.
    »Wie konnte Jovinda es wagen, dir so etwas zu sagen!«, fauchte sie. »Wie konnte sie es wagen, dir so eine Belastung aufzubürden! Du bist noch ein Kind. Du bist mein Kind! Wie konnte sie nur!«
    Immer wütender wurde sie, ihre Schritte wurden schneller, ihre Gesten heftiger.
    »Ich habe dich ihr anvertraut!«, schrie sie. »Sie hat mein Vertrauen missbraucht, diese miese, alte … dumme Person! Außerdem«, blitzte sie Lulu an, »außerdem, ganz unter uns, Jovinda ist eine jämmerliche Hexe und eine noch jämmerlichere Seherin. Sie könnte keinen Schein erkennen, selbst nicht, wenn er aus ihrer eigenen Nase wüchse! Ohne Evchen wäre sie ein Nichts, ein jämmerliches kleines Nichts, ein …«
    »Evchen hat ihn gesehen«, flüsterte Lulu.
    »So, Evchen also«, murmelte Graviata und musterte Lulu noch einmal.
    »Ist da nun ein Schein?«
    Graviata blickte ihr fest in die Augen. »Nein, nichts. Deine Aura ist die eines gesunden, kleinen Mädchens, das sich umsonst große Sorgen macht! Und mit Jovinda werde ich ein Wörtchen reden«, fügte sie grimmig hinzu. »Am liebsten würde ich sofort zu ihr rüberrennen und sie in Stücke zerfetzen. Ha, ich werde den Captain mitnehmen und ihn auf sie hetzen, auf sie und das fette Evchen!«
    »Sie sind verreist.«
    »Typisch!«, fauchte Graviata. »War das alles oder hat sie dir noch einen weiteren Floh ins Ohr gesetzt?«
    »Eine Botschaft«, sagte Lulu.
    Sie nahm ihre Mutter bei der Hand und führte sie unter die Lampe. Dann stellte sie sich in Positur, genau vor Graviata, konzentrierte sich auf Graviatas Gesicht, damit ihr auch nicht das winzigste Zucken entging, holte tief Luft und legte los:
    »Häuscher af busch, häuscher af rossen vun seven af seven af seven. Sin ville de seven. Gran vun sude, san vun blot, sat de rossen. Fin de rot, fin de blot. But de seik af de farten vil se kamen. Borleif . «
    Vollbracht! Von Anfang bis borleif fehlerfrei aufgesagt. Ein Stein fiel von Lulus Herz, ein Felsbrocken. Graviata aber verfügte entweder über eine grandiose Selbstbeherrschung oder der Text war völlig nichtssagend.
    »War’s das?«, fragte sie etwas spöttisch.
    Lulu nickte erst, schüttelte dann aber den Kopf. »Ich hab was geträumt, heute Nachmittag, ganz kurz bevor du gekommen bist. Etwas Schreckliches.«
    »Willst du es mir erzählen?«
    »Hm«, nickte Lulu. »Also, da war ein Feld.« Sie verstummte.
    »Was ist an einem Feld so schrecklich? Die Welt ist voller Felder.«
    »Nein, kein gewöhnliches Feld, es war …« Es fiel ihr nicht mehr ein. Nur das Gefühl war noch da, ein Grauen, wie sie es bisher noch nie empfunden hatte.
    »Nun ja, Schatz, Träume machen uns oft Angst, aber …«
    »Rot!«, rief Lulu. Bruchstücke des Traums kamen zurück. »Das Feld war rot wie Blut und eine Frau war da. Sie hat ein Kind getötet. Mama?«
    Graviata lehnte an der Wand und bedeckte ihr Gesicht mit den Händen.
    »Ist es sehr schlimm, Mama?«
    »Nein«, sagte Graviata dumpf in ihre Hände hinein. Als sie ihr Gesicht wieder zeigte, war es gelassen und

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