Das Geheimnis des Rosenhauses - Roman
ich schüttelte den Kopf. ›Da suchen sie doch zuerst, Pinter. Außerdem lebt niemand mehr in deinem Dorf. Du hast doch alle umgebracht!‹
Da fing er wieder an, in die Hände zu klatschen und zu kichern. ›Mein Dorf!‹, rief er. ›Komm mit in mein Dorf!‹
Es war zwecklos. Er war wieder so verrückt wie vor unserer Flucht. Also brach ich mir an einem krüppeligen Baum einen Ast ab, den ich als Krückstock benutzen konnte, und hinkte alleine weiter in Richtung Stadt.
Unsere Hütte war leer geräumt, keine Spur von Nanette, keine Spur von Ralf. Ich hatte das natürlich befürchtet, aber irgendwie hatte ich doch gehofft … Na ja, egal. Ich war viel zu erschöpft, um verzweifelt zu sein, und hinkte einfach weiter. ›Geh zu deiner Familie‹, hatte Mama gesagt. Gut und schön, doch wo war meine Familie? Sollte ich zum Haus im Palastgarten gehen? Aber mir war klar, dass ihr dort nicht mehr sein würdet. Soweit ich es mitbekommen hatte, wurde Mama des Hochverrats beschuldigt, und in diesem Land lässt man Kinder von Hochverrätern nicht in einer Villa im Palastgarten wohnen. Wo also nach euch suchen?
In der Nähe des Hauptmarktes gibt es eine alte, baufällige Markthalle, in der die Bettler und Landstreicher schlafen. Dort wollte ich mit der Suche beginnen und machte mich auf den Weg. Aber ich kam nicht weit. Ganz in meiner Nähe suchte eine Abteilung der Wache die Straßen ab und eine zweite hörte ich etwas weiter entfernt. Zum Glück machen sie immer einen solchen Lärm, dass man sie lange hört, bevor man sie sieht. Keine Ahnung, warum sie das tun.«
»Weil sie dumm sind wie Brote!«, schrien die Rattenkinder, gerade als Lulu sagen wollte, dass die Wachsoldaten mit ihrem Lärm wohl etwas Ähnliches bezweckten wie die Treiber bei der Jagd: das Wild aus seinem Versteck zu scheuchen und es an einen Platz zu treiben, wo man es leicht erlegen kann.
Damiano fuhr fort: »Ich wusste nicht, dass sie euch jagten. Ich glaubte, unsere Flucht aus dem Felsenkerker wäre viel früher bemerkt worden, als ich gehofft hatte. Ich änderte meine Richtung, bog in eine Gasse, die mich von den Stimmen der Wache fortbrachte. Doch nicht lange, da hörte ich sie wieder und wieder und wieder. Ich änderte so oft die Richtung, dass ich völlig die Orientierung verlor. Immer wenn ich glaubte, sie endlich abgeschüttelt zu haben, waren sie schon wieder ganz in meiner Nähe. Und dann geschah das, was ich die ganze Zeit befürchtet hatte. Ich hastete durch eine sehr schmale, dunkle Gasse, eine Verbindung zwischen zwei Hauptstraßen, und hörte, wie sich die Wache auf beiden Straßen näherte. Mein Gässchen bot keinerlei Versteck, da waren nur kahle Hauswände, keine Türen, keine Winkel, keine Kelleraufgänge, nichts. Ich steckte in der Falle! Der kalte Schweiß brach mir aus bei der Vorstellung, dass sie mich fassen und zum Kerker zurückbringen würden. In meiner Verzweiflung beschloss ich, einfach loszurennen, als von unten etwas in die Gasse gerannt kam, etwas Kleines in toller Panik. Ich konnte nicht mehr bremsen, wir rasten ineinander, etwas Pelziges sprang mich an und etwas anderes sagte …«
»Bumbum!«, schrien die Rattenkinder im Chor. Bumbum schrie mit ihnen und sein Gesicht strahlte wie ein Kronleuchter.
»Ja, so haben wir uns gefunden. Es war stockdunkel, aber natürlich brauchte ich kein Licht, um meinen kleinen Bruder zu erkennen, und Ralf erkennt mich immer und überall. Es war keine Zeit, sich zu wundern, keine Zeit, sich zu freuen. Die Wache kam immer näher. Ich wollte die beiden verscheuchen, um sie vor den Soldaten zu schützen, aber Ralf und Bumbum hörten nicht auf mich, sie kratzten und tasteten auf dem Boden herum und zogen an etwas, also tastete ich ebenfalls und fand – ja, ihr wisst schon, was ich fand – die Luke, die in die Abwasserkanäle führt. Rettung im letzten Augenblick! Ich wuchtete den schweren Deckel hoch, wir zwängten uns durch das Loch, klammerten uns an die Leiter, und ich schob den Deckel von unten wieder zu. Da hingen wir dann in der stinkenden Finsternis.
Eigentlich wollte ich mich nur kurz verstecken, nur gerade so lange, wie die Soldaten in der Nähe waren, aber Ralf sprang ganz hinunter und schaute mit seinen Nachtaugen zu uns auf. Sie leuchteten wie zwei kleine Laternen. Das war tröstlich. Ich dachte, ein Weilchen da unten zu sitzen und auszuruhen wäre vielleicht ganz vernünftig. Schließlich hatten wir mit Ralf jemanden, der im Dunkeln sehen konnte, er würde uns vor Gefahren
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