Das Geheimnis des Rosenhauses - Roman
über seinen beachtlichen Bauch, er trug eine schwarze Lederhose und braune, hohe Stulpenstiefel.
»Ich sitz hier, rauch gemütlich mein Pfeifchen und warte auf Genia, da kommt ihr aus dem Abwasserkanal geflutscht. Und nach euch das Feuer. Nicht zu fassen!« Kopfschüttelnd schaute er auf den flammenden Fluss. »So was sieht man nicht alle Tage. Habt ihr das Wasser in Brand gesetzt?«
»Wer ist Genia?«, fragte Lulu.
»Meine Katze. Sie ist mir erst vor ein paar Tagen zugelaufen, aber ich sag euch, sie ist das intelligenteste Tier der Welt. Sie lernt alle Kunststücke und versteht jedes Wort. Deswegen habe ich ihr den Namen gegeben. Genia, versteht ihr? Wie Genie.«
»Wir hatten früher auch viele Tiere«, sagte Lulu. »Jetzt haben wir nur noch Ralf. Und die Krähen.«
»Krähen?«, fragte der Mann.
»Hm«, Lulus Mund zitterte. Sie merkte, dass sie gleich zu heulen anfangen würde. Sie kniff Augen und Mund fest zusammen, das half manchmal.
»Das da oben ist aber keine Krähe«, sagte der Mann. »Das ist ein Falke.«
Lulu öffnete die Augen und schaute in den Himmel hinauf. Über ihnen kreiste ein Falke und schrie seinen hohen Falkenschrei.
»Wir sollten hier weg«, sagte Lulu unruhig. »Wir sollten verschwinden.«
»Langsam«, sagte Damiano. »Erst überlegen wir, wohin.«
»Ich hab einen Wagen«, sagte der Mann. »Er steht drüben, bei der Straße. Wenn ihr wollt, nehm ich euch ein Stück mit. Mein Name ist übrigens Churro. Das ist natürlich nur ein Spitzname«, setzte er hinzu. »Da wo ich herkomme, ist Churro ein feines Gebäck, in Schmalz gebackene Kringel, mein Lieblingsgebäck.« Er strich sich vielsagend über den Bauch.
»Und wo kommt Ihr her, Churro?«, fragte Rafaela.
»Von überall und nirgends. Ich zieh durchs Land und bleibe, wo es mir gefällt.«
»Ihr seid ein Landstreicher!«
»Aber nein, wo denkst du hin! Ich bin Künstler! Porträtmaler. Mein Atelier ist überall, manchmal auch auf Jahrmärkten.«
»Ihr zieht über die Jahrmärkte und verkauft Eure Bilder? Ist das ein gutes Geschäft?« Jetzt war Damianos Interesse geweckt.
»Ich kann nicht klagen.«
»Gaukler«, sagte Rafaela verächtlich. »Künstler. Hungerleider.«
»Also«, sagte Wanda, »auf Jahrmärkten verdient man nicht schlecht. Manche Leute sollten von ihrem hohen Ross runtersteigen, vor allem, wenn sie selbst pleite sind!«
Rafaela erwiderte nichts, zuckte nur mit den Achseln und klapperte mit den Zähnen. Es wurde kalt.
»Wart Ihr schon mal hier in der Stadt auf dem Hauptmarkt?«, fragte Lulu.
»Früher, vor vielen Jahren. Warum fragst du?«
»Nur so«, antwortete sie ausweichend. Sie wusste selbst nicht genau, warum sie das gefragt hatte. Aber irgendetwas an diesem Churro kam ihr bekannt vor. Als hätte sie ihn schon einmal gesehen. Und doch war sie sicher, dass sie sich gerade zum ersten Mal begegnet waren.
»Ich mach euch einen Vorschlag«, sagte Churro jetzt. »Ich warte hier auf Genia. Sie muss gleich kommen. Sie ist mir einfach davongehüpft, wollte sich wahrscheinlich ein wenig die Beine vertreten. Ihr geht jetzt zu meinem Wagen und macht es euch da drin gemütlich. Wenn Genia kommt, sehen wir weiter.«
Die Kinder schauten sich unschlüssig an. Sie wussten nicht, ob sie dem fremden Mann vertrauen konnten.
»Ich werde euch nicht fragen, warum ihr in den Abwasserkanälen herumgekrochen seid. Auch nicht, warum sie brennen. Nicht mal, wie ihr heißt. Das geht mich nichts an. In meinem Wagen gibt’s was zu essen und zu trinken und jede Menge warme Decken. Ihr habt alle ganz blau gefrorene Lippen. Wollt ihr, dass der Kleine sich den Tod holt in seinen nassen Sachen?«
Das waren gute Argumente, ausgezeichnete sogar. Und ehrlich gesagt, was hatten sie schon für eine Wahl? Doch bevor sie sich zu Churros Wagen aufmachten, schauten sie noch einmal zum Kanal hinüber. Noch immer fiel Feuer heraus. Was war aus den Rattenkindern geworden? Sie kannten die Kanäle so gut wie sonst niemand, bestimmt war es ihnen gelungen, rechtzeitig einen Ausstieg zu finden. Lulu hoffte es inständig. Sie wollte überhaupt nicht daran denken, was wäre, wenn …
»Feuer in die Abwasserkanäle!«, rief Rafaela wütend. »Das ist grausam! Wie konnten sie so etwas nur tun?«
»Mit Petroleum und etwas Hilfe von königstreuen Magiern. War nicht weiter schwer!« Eine neue Stimme, kalt und höhnisch. Wieder fuhren sie herum. Das dichte Ufergebüsch teilte sich, und Soldaten brachen daraus hervor, viele Soldaten, zwei Abteilungen,
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