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Das Geheimnis des Rosenhauses - Roman

Titel: Das Geheimnis des Rosenhauses - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annette John
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es kapiert. Sie hatte das System kapiert und konnte gar nicht verstehen, warum sie so lange dazu gebraucht hatte. Es war doch ganz simpel! Man musste die Buchstaben nur zusammenziehen, dann hatte man ein Wort. Sie konnte lesen!
    Die Stunden bis zum Abendessen vergingen für Lulu wie im Rausch. Sie las ohne Unterbrechung. Nur hin und wieder, wenn ihr ein Wort gar zu schwer war, flitzte sie in den Schuppen, wo Churro mit einem Schal als Atemmaske vor der Nase seine Farben mischte. Er war aus dem Haus verbannt worden, weil das Zeug, mit dem er die Farbe verdünnte, so schrecklich stank und jedem die Sinne vernebelte, der es in hoher Konzentration einatmete.
    Beim Abendessen dann hatte Lulu ihren großen Auftritt, als sie die gesamte Fibel Seite für Seite vorlesen konnte. Rafaela war sprachlos, Ellwin platzte fast vor Stolz.
    Er hatte den Tag in der Stadt in der Bibliothek verbracht, und er hatte seinen Magierfreund besucht, in der Hoffnung, dass dieser ihm die schreckliche Klaue wieder in eine gesunde Hand zurückverwandeln könnte. Er hatte ihm eine Geschichte erzählt von einem alten Dokument, das er ausgegraben habe und das ihm, als er es entziffern wollte, diese Verletzung beigebracht habe. Der Magier geriet ganz aus dem Häuschen, er wollte dieses machtvolle Dokument unbedingt studieren und war zutiefst enttäuscht, als Ellwin zerknirscht eingestand, dass es ihm leider aus Versehen in eine Kerzenflamme geraten sei. Die Verkrüppelung von Ellwins Hand hatte der Magier nicht beheben können, obwohl er sich alle Mühe gegeben hatte. Ellwin trug die Klaue jetzt unter einem Verband versteckt. Falls er sehr unter dieser hässlichen Missbildung litt, ließ er es sich nicht anmerken.
    Fünf dicke Wälzer packte er vor Damiano hin. »Alles gute, seriöse Literatur über Hexensprache und Hexenbräuche«, verkündete er. »Darin wirst du sicher etwas über den Fluch finden.«
    Nun war es an Damiano, sich nichts anmerken zu lassen. Doch Lulu sah, wie er bleich wurde und fast zusammensank unter der Verantwortung, die ihm da aufgebürdet wurde. »Bald kann ich dir helfen«, sagte sie tröstend. Und ihr Bruder war nett genug, sie nicht darauf hinzuweisen, dass da wohl ein Unterschied bestand zwischen einer Fibel und hoch komplizierter, wissenschaftlicher Literatur.
    Während der folgenden Tage war die Stimmung gedrückt in Ellwins Haus. Alle litten darunter, dass sie nicht wirklich etwas tun konnten, dass die ganze Arbeit allein auf Damiano lastete. Der hatte sich in Ellwins Studierstube zurückgezogen und arbeitete die Bücher durch. Doch den Fluch fand er nicht. Nicht den allerkleinsten Hinweis darauf. Die Zeit verging, und Graviata hockte immer noch im Felsenkerker in ihrem erbärmlichen Käfig, ohne Trost, ohne Hilfe, ohne Aussicht darauf, je ihre Unschuld beweisen zu können. Sie wagten kaum daran zu denken, was geschehen würde, wenn es ihnen nicht gelänge, Licht in das Geheimnis zu bringen, wenn es ihnen nicht gelänge, den wahren Schuldigen zu entlarven.
    Würde Graviata dann für immer wie ein gefangener Vogel in diesem Käfig hocken, der von der Spitze des Felsenkerkers herunterbaumelte, auf Gedeih und Verderb den kaltherzigen Wärtern ausgeliefert, so lange, bis sie verrückt wurde oder starb? Würde sie am Ende gar wegen Hochverrats zum Tode verurteilt und hingerichtet werden?
    Sie hätten Ellwin fragen können, der hätte vermutlich sämtliche Gesetzbücher gewälzt, um Antworten zu finden, doch so genau wollten sie es lieber nicht wissen.
    Damiano verzweifelte fast an der Aufgabe, die ihm gestellt worden war. Er wurde bleich und mager und seine Augen entzündeten sich. Bis lange nach Mitternacht brütete er über seinen Wälzern, und immer wartete Wanda auf ihn, kochte ihm in der Küche einen Kakao und versuchte ihn aufzuheitern.
    Auch Lulu las bis spät in die Nacht und hörte sie miteinander tuscheln. Ellwin hatte ihr ein Buch mit Sagen aus alter Zeit gegeben. Die waren viel schwieriger zu lesen als die Fibel, aber auch viel spannender. Manchmal las sie darin, bis der Morgen graute. Als sie es ganz und gar durchgelesen hatte, klappte sie es zu und ging zu Damiano in die Studierstube. Jetzt fühlte sie sich stark genug, ihm bei seinen Studien zu helfen. Sie traf ihn in denkbar schlechter Stimmung.
    »Sinnlos!«, schrie er sie an, als sie hereinkam. »Was ich hier tue, ist komplett sinnlos!« Sein schwarzes Haar hing ihm strähnig ins Gesicht, er roch nach Schweiß und Enttäuschung und Tabakrauch.
    »In diesen

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