Das Geheimnis des Rosenhauses - Roman
nicht betrogen, mit der Übersetzung war die Macht des Fluches gebrochen.
»Glaubt ihr, dass eure Mutter diese andere Hexe, diese Clarisse, verflucht hat, sodass sie verschrumpelt ist wie Ellwin neulich und der Turm über ihr zusammenkrachte?«, fragte Wanda. »Aber das kann nicht sein«, widersprach sie sich selbst. »Ellwin wäre gestorben. Wir alle wären tot, wenn das Haus über uns eingestürzt wäre. Diese Clarisse müsste also auch längst tot sein.«
»Nicht unbedingt«, wandte Damiano ein. »Hexen sterben nicht so leicht. Vielleicht konnte sie im letzten Augenblick noch etwas sagen, das den Fluch gestoppt hat. Man kann ihn stoppen. Das haben wir alle erlebt.«
»Oder«, überlegte Rafaela, »Clarisse hat das letzte Wort nicht mehr gesagt. Borl … äh, für immer. Und so ist sie eben irgendwann wieder aufgewacht.«
»Warum gerade jetzt?«
Rafaela zuckte mit den Schultern. »Warum nicht gerade jetzt?«
»Aber warum sollte Mama so etwas Gemeines tun?«, wandte Lulu ein.
»Weil sie die Rosen haben wollte«, erwiderte Wanda prompt. »Die Rosen, die Jugend und Schönheit bewirken konnten.«
»Unsinn«, widersprach Churro, »die Rosen sind verwelkt, das steht sogar in diesem komischen kleinen Reiseführer. Niemand ist gekommen und hat das Geschäft weitergeführt. Außerdem ist das doch alles schon vor sehr langer Zeit geschehen. Vor, äh, wie lange ist das her, Ellwin?«
»Lange. Ich weiß nicht genau, aber um die hundert Jahre herum könnten es schon sein.«
»Na also«, sagte Churro.
Hundert Jahre, eine unvorstellbar lange Zeit! Aber die Hexenkinder waren durch dieses Argument nicht überzeugt. Graviata hatte nie jemandem gesagt, wie alt sie wirklich war. Vermutlich wusste sie es selbst nicht mehr. Hexen zählten die Jahre nicht. Sie brauchten es nicht, die Zeit floss für sie anders. Normalerweise alterten sie nur, wenn sie es wollten.
»Wir dürfen jetzt nicht den Fehler machen, Erklärungen zu erfinden und uns in ihnen festzubeißen. Das kann uns ganz schnell in die falsche Richtung treiben«, warnte Ellwin. »Alles, was wir vielleicht haben, ist eine Spur, die zum Rosenhaus führt. Ich schlage Folgendes vor: Erstens, das Studium von Geschichtsbüchern. Diesen Teil übernehme ich«, fügte er schnell hinzu, als Damiano verzweifelt aufseufzte. »Zweitens, ein Ausflug zum Rosenhaus. An dem können alle teilnehmen, vorausgesetzt Lulus Krähen beschäftigen immer noch diesen spionierenden Falken. Drittens, ein Besuch bei einem meiner Nachbarn. Er ist ein alter Lehrer und weiß alles über unsere Gegend hier, was es zu wissen gibt. Auch daran können sich alle beteiligen, falls«, er schaute streng in die Runde, »ihr euch wenigstens für ein oder zwei Stunden wie wohlerzogene Gelehrtenschüler benehmen könnt. Wir wollen keinen Verdacht erregen und den netten, alten Mann auch nicht in Gefahr bringen.«
14. Kapitel
E llwin blieb fast die ganze Nacht in der Studierstube. Erst gegen Morgen hörte Lulu, wie er in sein Zimmer ging. Trotzdem wirkte er beim Frühstück munter wie immer. Alle Kinder hatten sich besondere Mühe mit ihrer Kleidung gegeben, Wanda und Rafaela trugen wieder die Ballonmützen, um ihre langen Haare zu verstecken. Sie wollten ja einen Ausflug unternehmen, erst zum Rosenhaus, dann zu Ellwins Nachbarn, dem alten Lehrer. Außerdem war heute der Tag, an dem die Putzfrau erwartet wurde.
Als die kam, schickte Ellwin sie gleich mit einer Botschaft zu seinem Nachbarn. Er würde sich freuen, hieß es darin, wenn er heute im Lauf des Tages mit einer Gruppe von Schülern vorbeikommen dürfte, junge Leute, die äußerst interessiert an der Geschichte des Rosenhauses seien. Das Antwortschreiben klang hocherfreut. Sie sollten nur kommen, schrieb der alte Herr. Am späten Nachmittag wäre es ihm angenehm, außerdem würde seine Frau sich freuen, Meister Ellwin und seine Schüler zum Abendessen einzuladen.
Es blieb ihnen also noch ziemlich viel Zeit, und so versammelte der Hausherr seine »Schüler« im Studierzimmer, um sie über seine Studien der vergangenen Nacht zu unterrichten.
Niemand wusste genau, wann die Hexe Clarisse in diese Gegend gekommen war und das Haus erworben hatte, das später unter dem Namen »Rosenhaus« berühmt wurde. Sie war wohl das, was man einen Menschen mit grünem Daumen nennt, vor allem ihre Rosen waren bald bis in die entferntesten Winkel des Landes bekannt. Richtig berühmt aber wurde Clarisse erst, als sie ihre Züchtungen auf eine bestimmte Farbe beschränkte
Weitere Kostenlose Bücher