Das Geheimnis des Scriptors
ich waren permanent damit beschäftigt, einander an die Gurgel zu gehen. Diese beiden Blödmänner hatten Anacrites gerade die Oberhand verschafft. »Zeigen Sie mir jetzt bitte die Lösegeldforderung.«
»Wir haben sie in Rom gelassen.« Verärgert über mein Verhalten, versuchte Mutatus zu bluffen.
»Holconius hat sie mir angeboten. Lasst uns doch vernünftig bleiben, ja?«
Sie holten das Dokument heraus. Ich las es und gab es ihnen zurück. Sie schienen erstaunt, dass ich das tat. Das war der Unterschied zwischen Scriptoren und Privatermittlern. Scriptoren wollen alles für ihre Archive behalten. Ich war gewöhnt, mir die wichtigsten Dinge aus Korrespondenzen zu merken und den Beweis dann zu vernichten. (Oder ihn genau dort wieder hinzulegen, wo ich ihn in dem elfenbeinernen Schriftrollenkasten des Besitzers gefunden hatte, damit derjenige nie erfuhr, dass ich ihn durchgelesen hatte.)
Dieses hier war eine Wachstafel, geschrieben auf Latein, lesbar, aber nicht verfasst von einem Sekretär. Darin stand das Übliche – wir haben ihn, ihr wollt ihn zurück, gebt uns das Geld, sonst stirbt Diocles. Die Übergabebedingungen standen auch dabei. Keine Erwähnung eines Illyriers. Die Scriptoren sollten das Geld an einer bestimmten Stelle hinterlassen. Die befand sich in Portus Augusti, in einem Etablissement namens Pflaumenblüte. Ich konnte den Scriptoren mitteilen, dass sich ihr Übergabeort in der Nähe einer Caupona namens Delphin befinde und ich die Vermutung hätte, es handle sich dabei um ein Bordell.
Helena schien beeindruckt von meinen Ortskenntnissen. Die Scriptoren schauten nur schockiert.
»Das ist ein Trickbetrug«, versicherte ich ihnen. »Wenn Sie denen das Geld geben, sind Sie es los und werden Diocles dennoch nicht wiedersehen.«
»Sie werden ihn umbringen, selbst wenn wir zahlen?«
»Sie werden ihn nicht umbringen, weil sie ihn nicht haben.« Das hatten wir bereits besprochen, aber Holconius und Mutatus hatten mir einfach nicht zugehört. »Sehen Sie, ich würde Ihnen ja gerne sagen, dass meine Ermittlungen dazu führen werden, ihn trinkend und mit weinerlichem Gesicht in irgendeiner Hafenkneipe zu finden. Aber alles, was ich bisher in Erfahrung bringen konnte, lässt mich um sein Schicksal bangen – wenn er auch meiner Meinung nach nicht entführt worden ist.«
»Glauben Sie, dass er bereits tot ist?«, fragte Holconius unverblümt.
»Das scheint eine Möglichkeit zu sein. Vielleicht hat er seinem Leben selbst ein Ende gesetzt, ein Selbstmord aus persönlichen Gründen nach schwerer Niedergeschlagenheit. Aber es gibt andere Alternativen, bei denen es um Menschen und Artikel gehen könnte, die er vielleicht für den Anzeiger schreiben wollte. Ich habe Sie das schon mal gefragt, und ich werde Sie erneut fragen: Gab es einen bestimmten Skandal, über den Diocles schreiben wollte?«
Die Scriptoren schüttelten die Köpfe.
Ich warnte sie noch einmal, das Lösegeld nicht zu zahlen. Sie dankten mir dafür, sie aufgesucht und ihnen diesen vernünftigen Rat gegeben zu haben. Sie hatten nicht die geringste Absicht, ihn zu befolgen.
Sie vergaßen, dass ich schon viele Klienten zuvor gehabt hatte. Ich kannte die Anzeichen.
XLV
A ls Helena und ich hinausgingen, trafen wir auf Rubella und Petronius, die gerade hereinkamen. Wir blieben alle auf der Türschwelle der Pension stehen, um uns zu beraten.
»Die Sache ist ein Schwindel«, verkündete ich den beiden Vigiles. »Nichts stimmt mit den Methoden der kilikischen Bande überein. Ich habe Holconius und Mutatus geraten, das Geld nicht zu übergeben. Sie haben es versprochen, werden sich aber natürlich nicht daran halten. Ich werde mich am Übergabeort auf die Lauer legen.«
»Dann treffen wir uns dort«, säuselte Rubella in jovialer Stimmung.
»Wissen Sie, wo der ist?«
»Falco, wenn Sie es aus zwei Scriptoren rauskriegen können, dann können wir das erst recht.« Rubella hielt inne und dämpfte seine Heiterkeit. »Was ist nun mit dem Vermissten? Könnte er entführt worden sein?«
»Möglich ist es.«
»Wer würde denn einen Gefangenen zwei oder drei Monate festhalten, ohne Kontakt aufzunehmen?«, fragte Petro. »Die Geschichte ist unlogisch. Was glaubst du?«, fragte er mich.
»Erstens: Diocles könnte sich was angetan haben während einer geistigen Krise, ausgelöst durch den Tod seiner Tante, seiner einzigen Verwandten. Zweitens: Er hat Damagoras verärgert, bereits ein Verdächtiger. Oder drittens: Irgendwas Schlimmes ist passiert, weil
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