Das Geheimnis des Scriptors
paar Stunden vergangen sein, seit die letzten Matrosen nach der nächtlichen Zecherei auf ihre Schiffe zurückgeschwankt und die meisten der schwer schuftenden Arbeiter eingetroffen waren. Das Bordell schien geschlossen zu sein.
Langsam ging ich die Mole entlang und betrachtete die vor Anker liegenden Schiffe. Alles war ruhig, doch auf einigen Schiffen regte sich schon etwas. Ein schläfriger Matrose spuckte in den Hafen. Ich tat so, als nähme ich das nicht persönlich. Beim Zollamt baute ein Schreiber lustlos den Tisch auf. Schiffe mit steuerpflichtigen Waren konnten bereits zu dieser frühen Stunde in den Hafen einlaufen. Eines war tatsächlich draußen beim Leuchtturm und manövrierte so ungeschickt, dass nicht zu erkennen war, ob es ein- oder auslief. Der Zollschreiber und ich nickten einander zu. Vielleicht hatte er mich vor kurzem im Gespräch mit Gaius Baebius gesehen. Weder er noch sonst jemand schien erstaunt, einen Fremden so früh am Hafen zu sehen. Auf den Kais nahmen die Leute das meiste als gegeben hin – konnte man meinen. Wahrscheinlicher war, dass mich von überall Augen beobachteten. Die drei Marine-Triremen lagen nach wie vor zusammen vor Anker, anscheinend immer noch verlassen. Gleichartige Stander hingen schlaff an ihren Hecks, von denen Taue zu den Pollern auf dem Kai verliefen. Zwischen ihnen schwappte der übliche Hafenmüll.
Die Luft war frisch. Ich hatte einen Mantel an. Später, wenn die Sonne brannte, würde er mir lästig werden, aber auf diese Weise konnte ich mein Schwert verborgen halten.
Am anderen Ende der Mole, im Schatten des Leuchtturms, machte ich kehrt und ging den Weg zurück, den ich gekommen war, stolperte über die Hälfte der Taue, denen ich auf dem Hinweg ausgewichen war. Ich hätte noch die ganze andere Mole entlangwandern können, aber die lag zu weit vom Übergabeort entfernt. Stattdessen schloss ich mich den Männern an, die am Tresen des Delphin standen und sich mit warmen Getränken und einem Frühstücksimbiss aufwärmten. Die meisten hatten den verdrießlichen Fatalismus jener, die ihre Tagesarbeit beginnen. Einer stach darunter hervor – mein Schwager. Mir sank das Herz.
»Hallo, Gaius. Was für eine Überraschung.«
»Marcus! Mir ist diese Caupona hier richtig ans Herz gewachsen«, teilte mir Gaius Baebius mit. Seine Aufgeblasenheit ging mir bereits auf die Nerven. »Sie ist seit dem Tag zu meinem Stammlokal geworden, als du und ich sie entdeckt haben.«
Als der Wirt meine Bestellung aufnahm, verrieten mir seine ausdruckslosen Augen, dass das Entzücken einseitig war.
»Ha! ›Entdeckt‹ lässt es ja klingen, als hätten wir unerforschtes Land gefunden. Wir sind hier doch nur mit Ajax spazieren gegangen. Was machen deine Schmerzen?«
»Sind nach wie vor kaum zu ertragen …«
Ich verfluchte mich, davon angefangen zu haben, und schnitt ihm brutal das Wort ab. »Wie auch immer, was machst du eigentlich so früh hier?«
»Ich komme stets um diese Zeit zum Hafen. Ich gehe den Tag gern in Ruhe an. Manchmal ist der Anblick des Sonnenaufgangs sehr bewegend.« Ich war nicht fähig, auf poetische Anwandlungen einzugehen, nicht zu dieser frühen Stunde, und schon gar nicht bei Gaius. »Und du arbeitest auch, nehme ich an?«, fragte er mich laut.
»Ich genieße ebenfalls gerne einen schönen Sonnenaufgang.« Es hatte keinen Zweck, ihn mit einem Tritt ans Schienbein zum Schweigen zu bringen. Er würde in derselben Lautstärke wissen wollen, warum ich ihn getreten hatte.
»Ja, ich dachte mir schon, dass du hier eine Überwachung durchführst. Da sind auch ein paar deiner Freunde von den Vigiles.« Ich stöhnte.
Während sich die düsteren Arbeiter im Delphin alle mit einer gleichzeitigen Bewegung von ihrem Frühstück abwandten und mich anstarrten, schlenderten Petro, Fusculus und eine Auswahl ihres Fußvolks zu zweit und zu dritt aus Richtung der Fähre heran, unauffällig, wie sie meinten. Die Schauerleute und die Ruderer der Versorgungsboote hätten die Neuankömmlinge sowieso bemerkt; Hafenarbeiter konnten Gesetzeshüter aus einer Meile Entfernung riechen. Aber die Ankunft der Vigiles reichte aus, um die Frühstücksgäste zu vertreiben. Nur zwei hartnäckige Stauer blieben zurück, beobachteten neben uns mit saurer Miene das Geschehen, kauten an ihrer Handvoll Brot und weigerten sich, von ihrer Routine abzuweichen.
Die Vigiles ersetzten die verschwundenen Frühstücksgäste am Tresen und bestellten sich selbst etwas.
»Habt ihr heute einen
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