Das Geheimnis des Scriptors
Mutter und Großtante Phoebe auf dem Familienhof tauchten in furchterregender Weise vor mir auf. Wir Privatschnüffler mögen zwar nicht dafür bekannt sein, Angst vor unseren Müttern zu haben, aber wir sind es gewohnt, Gefahren korrekt einzuschätzen – und natürlich haben wir doch Angst.
Ich kehrte in die Latrine zurück. Der andere Gast kam an mir vorbei und warf mir einen seltsamen Blick zu. Caninus war jetzt mit dem jungen Klomann ins Gespräch vertieft; er gab ihm wahrscheinlich ein Trinkgeld. Der Junge wandte sich rasch ab. Der Mariner blickte auf, überrascht und argwöhnisch.
»Ich glaube, Sie haben sich geirrt«, sagte ich. »Wenn Sie sich geirrt haben, dann haben Sie gerade ein hochrangiges Mitglied meiner Familie verleumdet. Wenn nicht, Caninus, stehlen Sie mir meine Zeit nicht mit Andeutungen. Da Sie das Problem aufgeworfen haben, müssen Sie Fulvius anzeigen.«
Ich ging wieder. Diesmal würde ich nicht kehrtmachen.
Ich war auf dem Weg zum Hafenausgang, der mich zur Isola und auf den Rückweg nach Ostia bringen würde, als ich sie sah. Nur für einen flüchtigen Moment. Die Sonne stand hoch, der Tag war heiß. Ein Dunstschleier hatte sich über das offene Meer gelegt. Die Steine auf den Kais schimmerten. Ich hatte einen langen Vormittag, ein Mittagessen und eine flotte Jagd hinter mir. Ich war müde und wütend. Ich war wütend auf den Mariner und noch wütender, viel wütender, auf meinen Onkel, weil er mich den Andeutungen des Schiffszwiebacks ausgesetzt hatte. Ich wollte nach Hause. Es wäre ein Leichtes gewesen, über das, was als Nächstes geschah, hinwegzugehen und Portus zu verlassen.
Aber ich hatte gerade zwei Männer in farbenfroher Kostümierung entdeckt, die eine Holzkiste trugen.
Zunächst bemerkte ich sie, als sie zwischen einem Kran und einem Stapel Getreidesäcke hindurchgingen. Gleich darauf waren sie hinter dem Durcheinander auf dem Kai verborgen. Ich wartete ein wenig, und da tauchten sie in einiger Entfernung wieder auf. Sie trotteten in gemütlichem Tempo dahin, jeder an einer Seite der Kiste, die praktischerweise Griffe haben musste. Sie wirkte ziemlich schwer, ließ sich aber trotzdem recht gut tragen. Gestern, als die beiden Scriptoren ihren Imbiss auf dem Geldkasten ausgebreitet hatten, konnte ich keinen genaueren Blick darauf werfen, aber dieser Behälter schien dieselbe Größe zu haben. Die beiden Träger waren anscheinend Seeleute.
Ich blickte mich um. Manchmal wimmelt es auf den Kais von Beamten. Jetzt, um die Mittagszeit, war keiner zu sehen. Unterstützung stand nicht zur Verfügung. Ich folgte den Männern allein.
Laut zu rufen war verlockend. Ich war zu weit von ihnen entfernt. Wenn sie mit der Kiste losrannten, konnte ich sie einholen, aber das würden sie nicht tun. Sie würden sie fallen lassen und sich aus dem Staub machen. Ich holte auf, doch sie waren immer noch zu weit vor mir, um sie zu stellen. Ich wich einem Wall aus Marmorblöcken aus, sprang über ein ganzes Bündel Schiffstaue, schlängelte mich zwischen kreuz und quer stehenden Handkarren hindurch – und sah, dass die beiden Männer verschwunden waren. Ich rannte weiter und erreichte einen unverstellten Teil des Kais. Hier war ich schon heute Morgen gewesen. Alles schien verlassen. Die festgemachten Schiffe wiegten sich ruhig, dicht an dicht auf ihren Ankerplätzen, und alle menschenleer. Dann streckte ein runzeliger Deckmann den Kopf von einem Handelsschiff hoch. Ich fragte ihn, ob er die Kistenträger hatte vorbeikommen sehen. Er meinte, sie hätten die Schatztruhe auf eine der Triremen gebracht. Ich fragte ihn, ob er mitkommen und mir helfen würde. Plötzlich verstand er kein Latein mehr und tauchte wieder ab.
Seine Erklärung schien zu stimmen. Die erste Trireme war das nächste Schiff in meiner Richtung, mit dem Heck am Kai vertäut, die zweite und dritte lagen dahinter. Wären die Männer an den Triremen vorbei auf dem Kai weitermarschiert, hätten sie noch in Sichtweite sein müssen. Sie konnten nur abgebogen und an Bord gegangen sein.
Die Trireme lag hoch im Wasser, ihr Deck acht oder neun Fuß über dem Hafenbecken. Ich konnte nicht richtig zum Deck hochsehen. In diesem vollgestopften Hafen mussten die außerordentlich langen Fahrzeuge rückwärts an ihre Ankerplätze manövriert worden sein, entweder hineingestakt oder vielleicht von der Mannschaft mit Tauen gezogen. Jetzt führten steile Fallreepe zu beiden Seiten des gebogenen Hecks hinab, abgesperrt mit leichten Fallleinen, um
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