Das Geheimnis des Scriptors
Liburne würde sie überfallen. Waren Schiffe parallel zum Kai vertäut, mit dem kleineren Schiff weiter draußen im Hafen, war es üblich, Zugang zum Land über eine Verbindung zu gestatten – wobei es sich jeder Kapitän eines Handelsschiffes zweimal überlegen würde, ein Marinekriegsschiff als Brücke zu benutzen. Aber hier gab es keine offensichtliche Erklärung. Doch auch das tiefer liegende Schiff sah verlassen aus. Ich benutzte das praktische Fallreep und stieg hinunter.
Fast im gleichen Moment hörte ich jemanden kommen. Ein Rückweg zum Kai, ohne den Ankömmlingen direkt gegenüberzutreten, gab es nicht. Ich bereitete mich darauf vor, eine gute Geschichte zu erzählen.
Sie kamen auf dem Kai in Sichtweite und kletterten rasch an Bord. Mit ihren abgetragenen Seestiefeln und farbenfrohen Hosen war diesen nacktarmigen, wildhaarigen Seemännern ihre Herkunft aus den östlichen Gewässern schon von weitem anzusehen. Sie waren nur zu zweit, aber der eine wurde mitgeschleppt, stolpernd und hilflos. Ein großer, sehr frischer Bluterguss entstellte sein dunkelhäutiges Gesicht, und das eine Ohr war auf die doppelte Größe angeschwollen. Ihm wurde von einem entschlossenen Seemann mit großen goldenen Broschen auf den Schultern an Bord geholfen, einem Mann, der stark wie ein Ochse sein musste angesichts der Leichtigkeit, mit der er seinen zusammengeschlagenen Kumpel halb trug. Er entdeckte mich auf ihrem Schiff.
»Was ist denn mit Ihrem Freund passiert?« Ich gab mich gelassen.
»Ist in ein Ruder gelaufen.« Ein Frösteln überkam mich. Parvus von der Vierten Kohorte hatte bei dem Tumult auf dem Fluss einem der Diebe ein Ruder übergezogen.
Wir funkelten einander an. Der Mann, der das Sagen hatte, war dunkel, herrisch und ungehalten. Sein grimmiger Blick ließ darauf schließen, dass er kampfbereit war.
»Was machen Sie hier?«
»Führe ein paar Routineermittlungen durch. Mein Name ist Falco.«
»Cotys.«
»Und …?«
»Arion.« Der Verwundete hatte sich versteift. Nun traten die beiden auseinander und versperrten meinen Fluchtweg.
»Woher stammen Sie, Cotys?«
»Dyrrhachium.« Wo zum Hades war das denn?
»Liegt nicht auf meiner persönlichen Handelsroute.« Ich riet ins Blaue hinein. »Könnte das in Illyrien sein?«
Als Cotys nickte, stürzte ich mich auf seinen verwundeten Kumpan.
Ich hatte damit gerechnet, dass Arion wegen seiner Verletzungen ein leichtes Ziel war. Irrtum. Arion wehrte mich wie aus dem Handgelenk ab. Sich Ärger vom Hals zu schaffen war für ihn Routine. Er wollte es rasch erledigen, und falls ich dabei draufging, war ihm das egal.
Ich riss mich los, stieß Arion gegen Cotys, um sie aufzuhalten, und flitzte zum Fallreep, das auf den Kai hinaufführte. Jemand pfiff nach Verstärkung. Ich hielt nicht inne, um mir Sorgen wegen der an Deck kommenden Besatzung zu machen. Andere waren auf dem Kai aufgetaucht und blockierten meinen Fluchtweg. Dann warf mich ein heftiger Schlag zwischen die Schultern zu Boden. Ich krachte auf die Deckplanken und spürte, wie sich mein Rücken schmerzhaft verzerrte.
Ich wurde hochgehievt. Viele Hände warfen mich zwischen sich hin und her. Nach einigem spielerischen Falco-Werfen schleuderten sie mich halb bewusstlos wieder auf das Deck.
Um mich herum wurde es hektischer, als es mir recht war. Die Seeleute dieses Schiffes waren Meister im raschen Türmen. Das Schiff hatte an die fünfzig Ruder mit jeweils einer Ruderbank auf jeder Seite. Aus dem Nichts tauchten jetzt Ruderer auf, um sie zu bemannen. Kleiner und klobiger gebaut als die eleganten Kriegsschiffe, konnte die Liburne seit Tagen, sogar Wochen neben den Triremen vertäut gelegen haben, setzte sich aber jetzt unversehens in Bewegung. Tatkräftige Aktivität ließ das Schiff ohne Hilfe eines Schleppers in den Hafen hinausgleiten.
Noch war nichts verloren – dachte ich zumindest kurz. Als wir hinter der Trireme hinausruderten, sah ich plötzlich über mir den weißhaarigen Kopf von Caninus. Neugierig schaute er über die Triremenreling hinunter. Ich kämpfte mich hoch und schrie um Hilfe. Caninus hob nur lässig den Arm. Vielleicht winkte er mir zum Abschied zu, aber mir erschien es eher wie ein Signal für Cotys. Alle Hoffnung auf eine Rettung durch die Marine verflog abrupt.
Ich hatte noch eine Chance, mir selbst zu helfen, solange die Seeleute mit dem Auslaufen beschäftigt waren. Sie hatten mich nicht mal durchsucht. Als sich das Schiff der Hafenausfahrt und dem Leuchtturm näherte, riss
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