Das Geheimnis des Scriptors
Handelsschiffe – einschließlich der riesigen imperialen Getreidetransporter – mussten zumindest einen Teil ihrer Ladung auf dem offenen Meer in Tender umladen. Das war gefährlich und nur während des Sommers durchführbar. Zwei Strömungen trafen aufeinander, wo der Fluss in die auflaufende Flut rauschte. Es gab trügerische Westwinde, mit denen man zu kämpfen hatte. Rechnete man noch die Küstenuntiefen und die Sandbank an der Flussmündung hinzu, bestanden für die aus fernen Ländern eintreffenden Handelsschiffe gute Chancen, auf Grund zu laufen.
Hatten besser steuerbare Schiffe schließlich das Land erreicht, taten sich weitere Probleme auf. Kurz vor der Küste teilte sich der Tiber in zwei Kanäle, die inzwischen für Schiffe jeder Größe zu versandet waren. Portus sollte dieses Problem lösen, was es bis zu einem gewissen Grad auch tat. Viele Handelsschiffe ankerten jetzt im Portus-Becken. Auf den schlammigen Tiberkanälen herrschte immer noch Verkehr, vor allem vier unterschiedliche Fährdienste, alle geführt von mürrischen, zahnlosen Männern, deren Familien aus der Zeit vor Romulus stammten, die von Einheimischen und Fremden unterschiedliche Fahrpreise verlangten und in allen bekannten ausländischen Währungen herausgeben konnten.
Ich überstand die Fährenfahrt und fuhr dann per Anhalter mit einem Gemüsekarren über die Isola, ein flaches Gelände voller Handelsgärtnereien auf fettem Boden, durch die eine vielbefahrene Straße führte. Ich war über die Jahre oftmals hier gewesen, hatte Portus für gewöhnlich zu meinem Ausgangspunkt für überseeische Einsätze gemacht. Jedes Mal hatte ich mehr und mehr Bauarbeiten vorgefunden, da die Lagerhäuser vergrößert wurden und die Menschen sich dort ansiedelten, wo sie arbeiteten.
Der neue Hafen war von protziger imperialer Prächtigkeit. Einfriedungsmauern umgaben das große Becken und bildeten zwei Molen, die ins Meer hinausragten. An ihren hinteren Enden standen Tempel und Statuen, und dazwischen lag eine von Menschenhand aufgeschüttete Insel. Sie war geformt wie das berühmte gestrandete Schiff, das einst den riesigen Obelisken aus Ägypten gebracht hatte, der jetzt die Spina, die mittlere Trennlinie, von Neros Circus in Rom schmückte. Das Schiff war, mit Ballast beladen, in tiefem Wasser versenkt worden, und auf dieser Basis hatte man einen vierstöckigen Leuchtturm errichtet, obendrauf die kolossale Statue eines monumentalen Nackten. Für mich sah er aus wie ein Kaiser, nur aus Sittsamkeit leicht bedeckt. Unter ihm segelten Schiffe durch die nördliche Passage herein und durch die südliche hinaus, während die Seeleute und Passagiere zu dem imperialen Wem-auch-immer hinaufstarrten und dachten: Oh, was für ein dramatischer Anblick.
Die gigantischen julio-claudischen Eier waren noch dramatischer, wenn sie nachts durch die Leuchtfeuer von unten angestrahlt wurden.
Der Hafen selbst war vollgestopft mit jeder Art von Seefahrzeug, bis hin zu Sommerbesuchern von der misenischen Flotte. Ein berühmtes Ereignis war das Einlaufen des Flaggschiffs gewesen, der prächtigen Hexeris, eines Sechsruderers namens Ops. Heute sah ich drei verlassene Triremen, eindeutig Kriegsschiffe, zwischen den seetüchtigen Handelsschiffen liegen. Schlepper, jeder mit dicklichen Rudern und einem kräftigen Schleppmast bestückt, schoben sich langsam um die Schiffe, deren Ankerplätze verlegt werden mussten. Versorgungsboote flitzten über das Wasser wie Flöhe, während Flüche und Begrüßungen gebrüllt wurden. Skiffs schaukelten ziellos herum, gelenkt von den unvermeidlichen alten Hafenlangweilern, die Seefahrerkappen tragen und Leuten wie mir was zu trinken abluchsen wollen. Von Zeit zu Zeit glitten Schiffe still in den Hafen hinein oder verließen ihn unter dem Schatten des Leuchtturms; dann brach Unruhe zwischen den Kränen und Büros auf den Molen aus. Ich konnte den Wald der Masten und der aufragenden Schiffsschnäbel nicht zählen, aber es müssen wohl sechzig oder siebzig ansehnliche Schiffe im Hafen gelegen haben, plus einiger vor der Küste auf Reede und diverser, die noch draußen auf dem Meer waren.
Ich hatte die Welt bereist, doch nirgends so etwas wie das hier gesehen. Ostia war das Zentrum des größten je bekannten Handelsumschlagplatzes. Die Republik war ein Zeitalter bescheidenen Wohlstands gewesen, das in Bürgerkrieg und Drangsal geendet hatte. Die Kaiser, unterstützt von legendären Finanziers und gut bei Kasse durch die Kriegsbeute,
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