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Das Geheimnis des Spiegelmachers (German Edition)

Das Geheimnis des Spiegelmachers (German Edition)

Titel: Das Geheimnis des Spiegelmachers (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antoinette Lühmann
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die Schulter und drückte ihn kurz und heftig an sich. Nik drehte sich um und sah seine Mutter in der Tür stehen. Helena van Leeuwenhoek nahm sein Gesicht in ihre dünnen kalten Hände und stellte sich auf die Zehenspitzen, um ihm einen Kuss auf die Stirn zu drücken. Unter ihren Augen lagen dunkle Schatten und ihr müdes graues Gesicht erinnerte Nik schmerzhaft an das seiner Großmutter.
    »Gott behüte dich, mein Junge«, flüsterte sie.
    Jan van Leeuwenhoek trat neben seine Frau, die am ganzen Körper zitterte, legte seinem Sohn die Hand auf die Schulter und bemühte sich um ein freundliches Lächeln.
    Nik stand mit dem Bündel im Durchgang zwischen Küche und Stube und wusste nicht, was er tun sollte. Er öffnete den Mund, um noch einmal von dem Geheimnis der Gilde zu berichten und Aufschub für die Reise zu erbitten. Aber die Worte in seinem Kopf wollten sich nicht ordnen lassen. Verzweifelt senkte er den Kopf.
    »Euch auch«, flüsterte er schließlich und seine Stimme hörte sich fremd an. Er ging an ihnen vorbei und trat auf die Straße. Seine Mutter schluchzte, doch er konnte sich nicht zu ihr umdrehen. Es gab nichts, was er sagen konnte, um sie zu trösten. Nicht heute.
    Frans steuerte die Kutsche durch die engen Straßen und Gassen und über die vielen Brücken von Amsterdam. Im Hafen lud er keuchend die Truhe von der Kutsche und stellte sie auf den Steg. Er reichte Nik zum Abschied wortlos die Hand.
    Als Frans mit der Kutsche zwischen den Lagerhäusern und der Werft verschwunden war, betrachtete Nik das Schiff, das ihn nach London bringen sollte.
    Drei Masten reichten bis in den Himmel. Die Saint George war seit zwanzig Jahren auf den Meeren unterwegs und sah neben den neueren schlanken Galeonen wie eine adrette Großmutter aus. Die drei Decks waren am Heck üppig verziert, goldene Figuren und Friese rekelten sich zwischen den Fenstern und rankten von einem Deck zum nächsten. Oben am Heckspiegel hingen drei Laternen. Auch wenn die goldene Farbe schon abblätterte, glänzten sie noch immer königlich in der Sonne.
    Jemand brüllte einen Befehl von oben herunter, und ein strohblonder Junge, der in Niks Alter war, kletterte die Takelage hinauf.
    Der Wind stand gut, sie würden bald aus dem Hafen auslaufen können.
    Männer liefen von einem Ende des Schiffes zum anderen und knoteten und lösten Taue ohne ersichtlichen Grund. Nik beobachtete mit offenem Mund das Treiben an Bord und versuchte, den geheimnisvollen Sinn der Handgriffe zu verstehen.
    Der Junge kletterte wieder die Wanten hinunter und sprang neben Nik auf das Deck. Nik fuhr herum.
    »Bist du Nicolaas?«, fragte der Junge streng.
    »Ja. Und wer bist du?« Nik verschränkte die Arme vor der Brust und grinste. Er war einen Kopf größer als der andere.
    »Levi.« Der Junge streckte ihm förmlich die Hand entgegen. »Komm, ich zeig dir deinen Schlafplatz.« Er fasste die Truhe am Griff und führte Nik in das Innere des Schiffes. Mit dem Fuß stieß er die Tür zu einer Kabine auf und verzurrte die Truhe mit Schlaufen und Haken an der Wand.
    »Dort schläfst du.« Levi deutete auf eine von fünf Hängematten.
    »Du hast Glück. Die anderen schnarchen nicht und sind selten betrunken. Hast wohl einen Haufen Geld für die Überfahrt bezahlt, was?«
    Nik antwortete nicht. Sein Vater finanzierte dieses Schiff seit vielen Jahren und schickte es an alle Enden der Erde. Wenn Levi dies nicht wusste, wollte er es ihm nicht auf die Nase binden.
    Levi runzelte die Stirn. Er ging zur Tür und drehte sich dort noch einmal zu Nik um.
    »Wir legen gleich ab, ich muss die Segel losmachen. Dann kann ich dir alles an Bord zeigen.« Er zögerte. »Du bist spät gekommen«, fügte er hinzu und es klang vorwurfsvoll.
    »Kann ich helfen?«, fragte Nik, ohne darauf einzugehen.
    Levi lachte. »Wenn deine Hände verheilt sind, kannst du mit mir in die Masten klettern.« Er zeigte auf die Wundpflaster. »Aber heute noch nicht. Wenn du herunterfällst, bekommen wir Ärger mit dem Kapitän. Es ist besser, wenn du unten bleibst, solange du verletzt bist.«

    Nik schluckte. Er hatte auf einen letzten Blick auf die Dächer von Amsterdam gehofft. Es juckte unter den Wundpflastern, aber Nik konnte die Lappen nicht von den Händen reißen. Er wollte die frisch nachgewachsene Haut nicht wieder vom Fleisch abziehen und dachte an die faulenden Hände der alten Werftarbeiter, deren Wunden sich durch frische Holzspäne immer wieder aufs Neue entzündeten.
    Levi kletterte die Treppe hinauf,

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