Das Geheimnis des Spiegelmachers (German Edition)
herum, doch die andere Hand des Mannes schob sich unter seinen Arm und warf ihn über die Schulter wie einen Sack Getreide. Beim Aufprall auf der Schulter des Mannes hörte Nik seine Rippen knacken. Die Schmerzen wurden unerträglich, als der Mann sich in Bewegung setzte.
Er versuchte, den Kopf zu heben, um das Gesicht des Angreifers zu sehen, doch ihm wurde dabei schwindelig, und er schloss die Augen. Nik biss die Zähne zusammen und versuchte, seine Knie anzuziehen, um den anderen zu treten oder aus dem Gleichgewicht zu bringen. Doch es gelang ihm nicht. Dann blieb der Mann stehen und warf ihn mit Schwung in die Luft. Nik streckte die Arme aus und fasste nach dem fremden Arm. Für einen Augenblick hielt er etwas zwischen den Fingern. Dann spürte er nur noch Luft um sich herum und schloss die Augen. Er fiel und fiel und tauchte dann mit einem lauten Platschen in das kalte Wasser der Themse.
Das Feuer, das den Himmel über London rot färbte, hatte John überrascht. Was auch immer die Apothekerzunft in ihren Schubladen aufbewahrte, hatte es ungeheuerlich entfacht.
Kaum hatte er das Zündholz in die oberste Lade fallen gelassen, schossen auch schon hohe Flammen daraus empor.
Aus dem nächsten Schrank hatte es grüne und rote Funken gesprüht, noch bevor das Feuer das Holz überhaupt erreicht hatte. Die Messinggriffe an den Türen und die Mauersteine hatten rot geglüht, als er aus dem Haus gestürzt war, um sich in Sicherheit zu bringen.
Er tastete vorsichtig nach den verkohlten Stofffetzen an seinem Rücken. Die Haut auf seinem linken Arm fühlte sich an wie Eisen unter einem Schmiedehammer. Ein faustgroßer Stein hatte sich unter dem Dach aus der Hauswand gelöst und ihn am Oberarm gestreift.
Doch er hatte keine Zeit, seine Wunden genauer zu betrachten oder sie gar zu verarzten. Die Kirchenglocken läuteten Sturm und in der Ferne hörte er die Pferde der Löschwagen aufgebracht wiehern.
Die Häuser neben dem Zunfthaus waren mit Stroh bedeckt, und das Feuer würde die ganze Gasse niederbrennen, bevor es gelöscht werden konnte. Ein Verdacht stieg in ihm auf wie bittere Galle. Heinrich musste ihrer beider Tod geplant haben. Seit Monaten erledigte John für den Spiegelmacher in London die Drecksarbeit, bedrohte die Männer, die mit der Gilde zusammengearbeitet hatten, und verwischte alle Spuren. Nun hatte Heinrich auch seinen Tod geplant, damit sein Wissen mit ihm in dem alten Versteck der Gilde verbrannte. John starrte auf das dunkle Wasser. Der Junge war nicht wieder aufgetaucht und damit war seine Aufgabe erledigt. Vielleicht konnte er sein eigenes Leben retten, wenn Heinrich glaubte, er wäre in dem Feuer ebenfalls verbrannt.
Das Geschrei wurde lauter. Das Getrampel vieler Stiefel auf dem Pflaster mischte sich mit dem gefräßigen Rauschen der züngelnden Flammen und drang bis zu ihm an den Fluss hinunter.
Er konnte nicht länger warten. Wenn Nik nicht wieder aufgetaucht war, hatte er sich in dem Schlick und den Abfällen am Ufer verheddert und würde dort unten ertrinken.
Nach einem letzten Blick auf die ruhige Wasseroberfläche eilte John am Ufer entlang. Ein paar Stege weiter im Osten lag sein Boot im Schatten eines sechzig Fuß langen Dreimasters. Er kletterte an Bord.
Auf der Ruderbank war kaum genug Platz für ihn. Hinter ihm türmten sich Körbe und Kisten und vor ihm Decken, Tücher und Truhen mit Geschirr und Schmuck. Er löste das Tau und stieß sich von der Bordwand ab.
Das Boot schwankte gefährlich, als es aus dem Windschatten des Großseglers glitt. Bei jeder Bewegung spürte er tausend Nadelstiche in seinem Arm und der Wind drückte den Stoff seines Hemdes unbarmherzig auf die verletzte Haut. Er biss die Zähne zusammen und tauchte die Paddel unermüdlich in das schwarze Wasser.
Ellie wartete, bis der Mann in der Dunkelheit verschwunden war. Dann trat sie aus ihrem Versteck und stürzte zum Steg. Sie ließ sich auf den Boden fallen und tauchte die Arme bis zu den Schultern in die kalte Themse.
Sie fischte hin und her, schob sich noch dichter an den Rand, um tiefer hineinzufassen, doch sie konnte Nik nicht finden. Tränen der Verzweiflung liefen ihr über das Gesicht. Ellie sprang wieder auf, rannte zu einem der Fischerboote und zog einen Haken mit einem langen Stiel unter den aufgerollten Netzen hervor. Erneut warf sie sich auf den Steg und stocherte damit im Wasser herum. Doch sie fand nichts. Sie versuchte es auf der anderen Seite. Auch ohne Erfolg. Dann tauchte endlich etwas auf.
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