Das Geheimnis des Spiegelmachers (German Edition)
unentdeckt in das Fischerboot. Ellie sprang neben ihn. Das Boot schwankte, und Nik streckte beide Arme aus, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Ellie beugte sich vor, um zum nächsten zu springen, doch ihr Fuß verfing sich in einem der aufgerollten Netze hinter der Ruderbank. Ellie schrie entsetzt auf und fiel rückwärts in das Boot zurück, wobei sie mit dem Kopf gegen den Großsegler hinter ihnen stieß.
Nik kletterte zu ihr. Sie hatte die Augen geöffnet, doch sie schaute mit verklärtem Blick in den Himmel.
»Ellie!« Er hockte sich neben sie. »Ellie!«
Dann glitt die Matthew an ihnen vorbei und mit ihr Niks Hoffnung auf eine Flucht aus London. Die Mannschaft eilte geschäftig über das Deck und achtete nicht auf die Kinder, die in dem kleinen Boot weit unter ihnen lagen.
Ein paar Sonnenstrahlen trafen Ellies Gesicht, als der Großsegler den Hafen verlassen hatte und Kurs auf Flandern nahm.
Ihre Fluchtmöglichkeit war in See gestochen und Ellie lag neben ihm und antwortete nicht. Weil Nik noch immer starke Schmerzen hatte, konnte er sie nirgendwohin tragen. In Kürze würden die ersten Fischer von ihren Fahrten zurückkommen und die beiden in ihren Booten entdecken. Doch er konnte sich nicht bewegen, alle Kraft war aus ihm gewichen.
Hinter sich hörte er ein Klappern und dann ein Sirren neben seinem Ohr. Nik duckte sich, doch es waren keine Messer, die durch die Luft geflogen waren, um ihn zu verletzen. Ein Tau lag auf seinen Stiefeln. Nik hob es auf und sah sich um. Plötzlich hörte er eine Stimme über sich. Hinter ihnen lag ein Dreimaster, der mindestens einhundertfünfzig Fuß lang war. Es war eines der größten Schiffe im Hafen. An der Bordwand waren zwei Reihen Geschützklappen zu sehen und das Bugspriet reichte viele Fuß über den Bug hinaus. Am Achterdeck waren die großen Fenster des Kapitäns und darunter eine Reihe kleinerer für die Offiziere. Eines stand offen und ein Mann mit einem reich bestickten Hemd schob seinen Oberkörper weit heraus.
»Nik?«, rief er und winkte ihm zu.
Nik kniff die Augen zusammen und versuchte, etwas Vertrautes in dem Gesicht des Mannes zu finden. Warum kannte er seinen Namen? Hatte ihn die Gilde schon gefunden? Aber dann hätten sie mit einem Messer und nicht mit einem Tau nach ihm geworfen.
Der Mann lächelte und hob die Mütze vom Kopf.
»Alexej?« Nik kniff die Augen zusammen. Konnte das möglich sein?
Sie zog die Mütze tief ins Gesicht und lachte. »Was tust du dort unten?«
»Ich muss die Stadt verlassen.« Er deutete auf Ellie, die noch immer reglos neben ihm lag. »Sie auch.«
Alexej nickte. »Binde ihr das Tau um den Bauch. Ich ziehe sie hinauf.«
Nik schob das Seil unter Ellies Rücken und verknotete es auf ihrem Bauch.
Alexej zog Ellie mit gleichmäßigen Zügen hinauf, doch das Mädchen schlug immer wieder mit dem Kopf gegen den Schiffsrumpf. Nik zuckte jedes Mal zusammen, aber Ellie zeigte keine Reaktion. Sie hing reglos und schlaff im Tau.
Obwohl es eine gefühlte Ewigkeit gedauert hatte, bis Alexej sie beide durch das Fenster in das Innere des Seglers gehievt hatte, blieb es auf der Ålborg still.
Alexej hatte inzwischen unter ihrer Hängematte eine wollene Decke für die beiden ausgebreitet. Nik ließ sich neben Ellie auf das Lager fallen und hielt sich stöhnend die schmerzende Seite. Er schloss die Augen.
»Ich höre keine Geräusche. Schlafen alle?«, flüsterte Nik fast tonlos.
»Sie sind besoffen«, erwiderte Alexej und warf eine Decke über die beiden.
Nik lächelte und fiel dann in tiefen, traumlosen Schlaf.
Es war Nacht in Amsterdam. Luuk stand vor der Werkstatt von Heinrich Sehfeld und legte den Kopf in den Nacken. Er starrte auf die Umrisse vor dem oberen Fenster. Dort war das Schlafzimmer der jungen Mädchen, die bei dem Spiegelmacher in die Lehre gingen. Er hatte munteres Treiben erwartet, kichernde Mädchen, die einander neckten und über die Betten tobten, aber die blassen Schatten wankten kraftlos und mit hängenden Köpfen von einer Seite zur anderen. Ein ungutes Gefühl beschlich ihn und kroch seinen Rücken hinauf wie die Ahnung eines aufziehenden Gewitters.
Ein dumpfes Klopfen ertönte aus der Werkstatt im vorderen Teil des Hauses. Wie ein zu lauter Herzschlag dröhnte es durch die Nacht. Luuk ging um das Haus herum und trat an eines der vorderen Fenster. Er sah direkt in Benthes Gesicht. Erschrocken fuhr er zurück.
Benthe bewegte den Oberkörper vor und zurück, hob die Schultern und bearbeitete etwas,
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