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Das Geheimnis des Spiegelmachers (German Edition)

Das Geheimnis des Spiegelmachers (German Edition)

Titel: Das Geheimnis des Spiegelmachers (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antoinette Lühmann
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eifrig weitere Lampen an und trat an seinen Schreibtisch.
    Auf einem Kissen lag eine gläserne Kugel. Er schloss beide Hände um sie und hob sie langsam hoch. Voller Stolz streckte er sie seinem Sohn entgegen.
    Nik war sich nicht sicher, ob er die Kugel ansehen oder berühren sollte, und warf vorsichtshalber das Bündel aus Decken und Verpflegung auf den Sessel, auf dem sein Vater vor einem Jahr Stunden und Tage damit verbracht hatte, in sich zusammengesunken aus dem Fenster zu starren.
    Jetzt stand er in voller Größe mit einem glücklichen Leuchten in seinem alt gewordenen Gesicht vor ihm und reichte ihm eine Glaskugel.
    Nik nahm sie entgegen und staunte, denn sie war leichter, als er vermutet hatte. Als er sie zum Licht drehte, erkannte er, was seinen Vater erfreute. Er wusste nicht, ob er sich mit ihm freuen oder vor Furcht und Ärger vergehen sollte.
    Vor ein paar Jahren hatte Helena ihre drei Kinder mit Ölfarben malen lassen. Sie hatten viele Stunden auf unbequemen Stühlen gesessen, doch dem Maler war eine Ähnlichkeit zwischen dem Gemälde und den Brüdern nur entfernt gelungen. Obwohl der Künstler dieser Kugel die Zwillinge nicht gekannt und niemals gesehen hatte, waren ihre Gesichter lebendig und wirklichkeitsgetreu in die Oberfläche der Kugel geritzt worden. Das Atmen fiel Nik plötzlich schwer. Claas und Matthijs lächelten ihn verschmitzt an, und es schien, als würden sie ihm im nächsten Augenblick verschwörerisch mit den Augen zuzwinkern wollen.
    Niks Hemd war plötzlich zu eng am Hals und Schweiß rann ihm über den Rücken.
    Doch es war nicht mehr der Schmerz über ihren unfassbaren Tod, der ihm den Atem nahm. Es war die Angst vor dem, der dieses unvergleichliche Kunstwerk geschaffen hatte, ohne die Brüder und ihr fröhliches, aufgewecktes Wesen zu kennen.
    »In der letzten Woche habe ich endlich den Schriftsteller gefunden, der eine Kugel mit dem Gesicht seiner toten Frau mit sich herumtrug. Ich hatte dir doch von ihm erzählt«, plauderte sein Vater gut gelaunt. »Es war nicht einfach, ihn zu finden. Aber er hat mich zu dem Glaser gebracht und seit gestern haben wir auch eine.« Stolz zeigte er auf die Kugel in Niks Händen.
    Die Freude in dem Gesicht seines Vaters machte ihm Angst, und er wünschte sich, die Kugel hätte es nie gegeben. Denn auch wenn er nichts mehr wollte, als seine Eltern wieder so zu erleben, wie sie früher gewesen waren, ahnte er doch, welches Unglück die Kugel ihnen bringen konnte. Schließlich musste sie von jemandem aus der Gilde stammen, denn niemand sonst konnte ein solches Kunstwerk erschaffen. Nik drehte die Kugel in seinen Händen und beobachtete das Licht auf der glänzenden Oberfläche. Ein Schatten legte sich über die Gesichter der Zwillinge und lichtete sich dann wieder. Die Gesichter seiner Brüder waren plötzlich verschwunden. Stattdessen sah Nik in Benthes große Augen und erblickte ihre von den langen Haaren gerahmten Wangen. Nik trat schockiert zurück und die Kugel entglitt seinen verschwitzten Händen.
    Sein Vater schrie auf. Die Kugel fiel.
    Nik griff erschrocken nach dem Glas, doch er berührte die Kugel nur mit den Fingerspitzen und konnte ihren Fall nicht aufhalten.

    Mit einem dumpfen Poltern prallte sie auf den dicken Teppich und kullerte unversehrt unter den Schreibtisch.
    Jan van Leeuwenhoek ließ sich auf die Knie fallen und robbte ihr hinterher.
    Niks Hände zitterten. Hatten ihm seine Augen gerade einen Streich gespielt?
    Sein Vater tauchte unter dem Schreibtisch auf und ließ sich schnaufend in den mit Leder gepolsterten Stuhl dahinter fallen. Dann legte er die Kugel behutsam wie ein rohes Ei auf das Kissen in der Mitte des Tisches. Er zog die Tranlampe dichter an das Glas und betrachtete versonnen, wie sich das Licht auf den Gesichtern seiner verstorbenen Söhne brach.
    Nik schulterte das Bündel und verließ das Haus. Er zitterte noch immer, als er die nächste Straßenecke erreichte und über die Brücke ging. Die Gracht lag schwarz unter ihm und der brackige Geruch des Wassers stieg ihm in die Nase. Auf einmal bewegte sich etwas neben ihm im Schatten. Jemand warf Nik auf den Boden und er schlug mit Händen und Knien hart auf dem Pflaster der Brücke auf.

Mehrere Hände legten sich auf seine Schultern und drückten ihn unbarmherzig auf den Boden. Nik jaulte auf, als sich Knie in seinen Rücken bohrten. Er bekam keine Luft mehr und versuchte verzweifelt, den Oberkörper hochzudrücken.
    Jemand umfasste sein Handgelenk und drehte es

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