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Das Geheimnis des Spiegelmachers (German Edition)

Das Geheimnis des Spiegelmachers (German Edition)

Titel: Das Geheimnis des Spiegelmachers (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antoinette Lühmann
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Male auf die Dächer der Stadt gestiegen war. Er knotete eine Schlinge und warf sie zum Wachturm rüber. Beim zweiten Versuch verfing sich das Tau an einem Mauervorsprung, und Nik kletterte in die Wachstube, um die Glocke zu läuten. Ihr heller Klang erhob sich über die Geräusche der Straße.
    Weit unter ihm klopfte Ellie donnernd an die Türen und schrie den Bewohnern Warnungen entgegen, wenn sie ihre Köpfe aus den Fenstern streckten. Doch als die Glocke ertönte, hielt sie inne und sah zu ihm hinauf.
    Nik läutete, bis seine Ohren dröhnten und die Straße voll Leben war. Das erste Fuhrwerk mit Eimern traf ein und die Menschen bildeten Ketten bis zur nächsten Gracht und schöpften Wasser, um es in das zischende Feuer zu kippen. Nik wischte sich mit dem Ärmel den Schweiß von der Stirn und verschnaufte einen Augenblick, bevor er zurück auf die Straße sprang. Am Fuß des Stadttors wartete Ellie auf ihn. Sie rief ihm etwas zu, aber Nik verstand sie nicht, weil das Rauschen in seinen Ohren nicht nachließ. Er hörte noch immer die Glocke läuten, obwohl sie längst verstummt war.
    Ellie deutete auf die Menschen, die Wassereimer von Hand zu Hand wandern ließen oder mit ihren Habseligkeiten aufgeregt die Straße auf und ab liefen.
    Nik hatte Ellie verstanden. Sie mussten verschwinden, bevor jemand sie erkannte. Er nahm ihre Hand und zusammen drückten sie sich an den Häusern entlang und eilten in die nächste Gasse. Menschen strömten ihnen entgegen, um zu helfen oder die Katastrophe zu beobachten.
    Hinter der nächsten Brücke blieb Ellie stehen. Sie zog ihr Hemd aus, legte sich auf den Bauch und schwenkte es im Wasser. Es roch nach den modrigen Amsterdamer Grachten, als sie es Nik entgegenhielt. Wasser tropfte ihm auf die Füße. Nik legte den Stoff auf sein Gesicht und spürte, wie das kalte Wasser seine verbrannte Haut kühlte. Seine Knie zitterten, und wenn Ellie ihm nicht unter die Arme gegriffen hätte, wäre er auf die Pflastersteine von Amsterdam gestürzt.
    Nik taumelte auf dem Weg zum Hafen immer wieder und stützte sich auf Ellies Schulter. Er war vollkommen erschöpft von den Ereignissen der Nacht, und die Schmerzen in Knien und Rücken waren wieder stärker geworden, nachdem er auf die Stadtmauer geklettert war. Als sie das Lagerhaus erreichten, fiel er auf einen der Säcke und schlief sofort ein.
    »Es hat in London in den letzten zehn Jahren oft gebrannt«, sagte Ellie.
    »Feuer gibt es überall«, brummelte Luuk.
    »Nein«, widersprach Ellie. »Nicht diese hohen Flammen, die aus Scherben entstehen. Sie wachsen schneller als jedes andere Feuer und verzehren in wenigen Augenblicken alles, was sie erreichen können.«
    Nik nahm das Tuch von seinem Gesicht und sah sie an. Die Sonne stand hoch am Himmel, aber er war noch immer erschöpft und sein Magen knurrte unaufhörlich.
    »Wo kommen die Flammen her?«, fragte Nik.
    »Ich habe solche Feuer schon in London gesehen.« Ellie setzte sich auf. »Bis gestern Nacht konnte ich mir den Unterschied nicht erklären, aber ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie schnell das Feuer außer Kontrolle geriet. Es beginnt nicht mit einem Glimmen oder einem Funken. Als das Glas zerbrach, waren die Flammen sofort haushoch.«
    »Aber es war dunkel«, wandte Luuk ein. »Scherben können nur Hitze entstehen lassen, wenn die Sonne auf sie scheint.«
    Nik runzelte die Stirn. Ihm lag eine bissige Bemerkung auf der Zunge, denn Luuk hatte früher viel Zeit damit verbracht, mit Glasscherben die Zöpfe der Mädchen anzuzünden. Doch er schluckte sie herunter, denn Luuk hatte recht. In der Dunkelheit der Nacht konnte keine Scherbe ein Feuer entzünden.
    »Es war nicht die Sonne und auch nicht die Reibung der Scherben auf den Steinen wie bei einem Feuerstein oder einem Zündholz«, widersprach Ellie.
    Benthe, Luuk und Nik sahen sie erwartungsvoll an.
    »Die Kugel zersprang und aus den Scherben wuchsen die Flammen. Ich habe es gesehen.« Ellie lächelte triumphierend, als hätte sie soeben ein Rätsel aufgedeckt, das sie seit Jahren quälte.
    »Seltsam«, sagte Luuk.
    »Hm«, machte Nik.
    Benthe kratzte sich an der Stirn und strich die zerzausten Haare hinter ihre Ohren.
    »Wir werden nicht herausfinden, wie es funktioniert«, stellte Luuk fest. »Benthe hat bei einem Spiegelmacher gearbeitet und Ellie bei einem Glaser.« Er wandte sich an die beiden. »Wenn ihr nicht mitbekommen habt, wie die Kunstwerke gemacht werden und der Zauber funktioniert, obwohl ihr in den Häusern gelebt

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