Das Geheimnis des Spiegelmachers (German Edition)
nie jemanden in der Werkstatt getroffen, aber ein paarmal habe ich die Stimme einer Frau in seinem Zimmer gehört, bevor er zu mir kam. Heute hat er mit einem Mann gesprochen.« Luuk sackte erschöpft in sich zusammen und rieb sich die Augen.
Nik lehnte den Kopf gegen den Sack, der neben ihm lag. Benthe hatte unaufhörlich hinter vorgehaltener Hand gegähnt. Plötzlich richtete sie sich auf. »Carmen de Witt war in Heinrichs Werkstatt. Sie hat mich eingesperrt, weil ich sie erkannt habe.«
Nik runzelte die Stirn. »Die Frau des Stadtregenten? Das ist nicht möglich … Was hat sie mit der Gilde zu tun? Wenn sie billigt, was die Gilde treibt, gibt es niemanden mehr, an den wir uns wenden können …«
»Doch!«, rief Luuk. Er kletterte auf einen Sack und streckte die langen Beine von sich. »Wir können zu den Pfaffen gehen. Wir erzählen ihnen von den Spiegeln und irgendwelchen magischen Kräften. Dann rufen sie einen Exorzisten oder die Inquisition und die Gilde ist erledigt.«
»Trotzdem brauchen wir einen Beweis und ich habe keinen Spiegel mitgebracht.« Benthe hob bedauernd die Schultern.
Nik betrachtete die anderen. Ellie trommelte nervös mit den Füßen auf den hölzernen Boden. Immer wieder tastete sie nach den Messern und dem Werkzeugbeutel an ihrer Hüfte. Benthe gähnte unaufhörlich, während Luuk auf dem Sack saß und seine Finger knetete.
Da fasste Nik einen Entschluss. Sie mussten einen Beweis in den Händen halten, damit man ihnen glaubte. Es gab nur einen Ort in Amsterdam, wo sie gefahrlos an einen Gegenstand der Gilde kommen konnten. Er schob den Gedanken an die Reaktion seines Vaters beiseite. Vielleicht konnten sie ihm die Kugel später zurückgeben. Nik wusste, wie unwahrscheinlich das war, dennoch beruhigte er sein schlechtes Gewissen damit. Anstatt sich in diesem Lagerhaus zu verbergen, mussten sie handeln. Wozu die Gilde fähig war, hatte er in London am eigenen Leibe erfahren.
»Ich gehe mit Ellie zu meinen Eltern und hole die Kugel, die der Gildeglaser gemacht hat«, verkündete Nik.
»Gustav Schmieder«, warf Ellie ein und erhob sich.
»Ja.« Nik legte eine Hand auf Luuks Schulter. Wenn er schon bei ihnen war, konnte er sich wenigstens nützlich machen. »Kannst du auf Benthe aufpassen?«
»Ich kann auf mich selbst aufpassen«, schmollte Benthe.
»Ich weiß«, beschwichtigte er sie. »Aber es wäre gut, wenn du Luuk erzählst, was wir ausgelassen haben, und seine Fragen beantwortest. Ruht euch aus, wir sind bald zurück.«
Er wartete nicht auf eine Antwort, sondern drehte sich um und lief die Treppe hinab.
Erleichtert atmete er auf, als er Ellie hinter sich hörte.
»Hoffentlich schlafen die beiden. Benthe sieht furchtbar aus.« Sie seufzte. »Was hat dieser Heinrich ihr nur angetan?«
Nebel war in die schlummernde Stadt gekrochen und dämpfte den Klang ihrer Schritte und alle anderen Geräusche. Unerkannt gelangten sie zum Haus der van Leeuwenhoeks.
Nik öffnete die Tür und trat in den Flur. Ellie folgte ihm in das Arbeitszimmer seines Vaters und entzündete eine Kerze. Er öffnete jede Schublade und fuhr mit den Fingern über die glatten Rücken der Warenbücher. Von der gläsernen Kugel fanden sie keine Spur.
»Sie ist nicht hier«, flüsterte Ellie plötzlich neben ihm.
Nik fuhr hoch. Sie war lautlos über den dicken Teppich geschlichen und hatte ihm einen gewaltigen Schrecken eingejagt.
Nik zeigte auf die Tür. Sie durchsuchten die Truhen im Flur, jedoch ohne Erfolg. Nik zögerte. Dann stieg er langsam die Treppe hinauf zum Schlafzimmer seiner Eltern.
Ellie losch die Kerze und trat hinter ihm in den Raum. Es dauerte eine Weile, bis sie die Umrisse der Möbel erkannten.
Neben dem alten Wäscheschrank stand das Bett seiner Eltern. Nik starrte auf die Decke und beobachtete, wie der ruhige Atem der beiden den Stoff langsam hob und senkte.
Erleichterung durchströmte ihn bei ihrem Anblick und er erschrak darüber. Durch seine Nachforschungen hatte er vermutlich auch ihr Leben in Gefahr gebracht. Die Erkenntnis traf ihn wie ein eiskalter Hieb mitten ins Herz und die Angst lähmte ihn für einen Moment. Dann griff er nach dem Rahmen der Tür und hielt sich zitternd fest. Das alles musste ein Ende haben. Er wollte sein Leben nicht in Angst verbringen.
Entschlossen trat er neben das Bett und kniete sich vor einen Stuhl, auf dem die Kleider seines Vaters lagen. Er spähte unter das Bett und den Schrank und tastete mit der Hand in die dunklen Ecken. Als er eine wollene
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