Das Geheimnis des Spiegelmachers (German Edition)
habt …« Er hob resigniert die Schultern.
»Sollen wir aufgeben und einfach zusehen, wie ein Unglück nach dem nächsten geschieht?« Nik war entrüstet. Gerade fing er an, Luuks Anwesenheit zu dulden und die verhassten Begegnungen der letzten Jahre zu vergessen, da wollte dieser die Flinte ins Korn werfen! Ihr Leben war in Gefahr, und sie mussten die Stadt vor der Gilde warnen, die nicht vor Mord zurückschreckte, um ihre dunklen Geheimnisse zu bewahren. Außerdem konnten die Kunstwerke der Gilde Amsterdam in Schutt und Asche legen, wenn sie alle gleichzeitig ein Feuer entfachten. Er dachte an seine Brüder. Vielleicht gab es noch mehr, was die Menschen in dieser Stadt bedrohte. Jeden Moment konnte ein Tuch zerreißen oder ein Spiegel herunterfallen. Was würde dann geschehen? Im Stillen hatte Nik die Hoffnung nicht aufgegeben, jemanden zu finden, der schuld am Tod seiner Brüder war, auch wenn er mit den anderen nicht darüber sprechen wollte. Nik sah Luuk an. Erst hatte er sich als Benthes großer Retter aufgespielt, und nun wollte er aufgeben, weil keine einfache Lösung in Sicht war. Nik konnte den Wunsch, sich auf ihn zu stürzen, kaum unterdrücken und ballte wütend die Fäuste.
»Vielleicht traust du dich ohne Thijs und Jost nicht auf die Straße, aber wir haben nicht vor, klein beizugeben«, zischte er.
»Klein beigeben?« Luuk schüttelte den Kopf. »Gehen wir zu dem Glaser, der hier in Amsterdam ist und die Kugel hergestellt hat.«
»Gustav Schmieder«, sagte Ellie.
Luuk nickte. »Wenn wir eine Kugel stehlen können, haben wir einen Beweis, und der Stadtregent wird uns anhören.«
Nik ließ die Arme sinken. Warum war ihm das nicht eingefallen? Es war eine kluge Idee, doch er tat sich schwer damit, weil es Luuks Einfall war, und der machte sich, seiner Meinung nach, viel zu wichtig.
Gustav Schmieder war der einzige Name, den sie noch aus der Gilde kannten, und damit war er ihre letzte Hoffnung. Ellie hatte Gustav auf dem Schiff erwähnt, und wenn er Glaser war, wie sie behauptete, dann hatte sein Vater die Kugel vermutlich bei ihm gekauft. Und es musste dieser Gustav gewesen sein, den er beim Gespräch mit Heinrich im Keller belauscht hatte, aber am nächsten Tag hatten sie die Spur wieder verloren, weil Luuk ihnen bei der Verfolgung der Kutsche in die Quere gekommen war.
»Wir können nicht zu Gustav Schmieder gehen«, widersprach er. »Wir wissen nämlich nicht, wo seine Werkstatt ist.«
»Doch«, erwiderte Luuk. »Ich weiß, in welcher Straße er wohnt.«
Nik starrte ihn erstaunt an. Doch Luuk war in den letzten Monaten mit seinen Freunden durch die Viertel der Stadt gezogen und hatte kleinen Jungen die Hände aufgeritzt – dabei war er sicher weit in Amsterdam herumgekommen.
Benthe setzte sich neben Nik und legte den Kopf an seine Schulter. Sie hatte es schon Hunderte Male getan, aber es hatte nie etwas bedeutet. Bis heute. Sie hatte in der vergangenen Nacht ihre Abneigung gegen Luuk aufgegeben und sie erwartete dasselbe von ihm. Nik atmete tief ein.
Ellie saß neben Luuk und sah ihn an. Ihre Hand steckte in dem kleinen Beutel an ihrer Taille und ließ mit einem leisen Klirren ihre Haken und Ösen aneinanderschlagen.
»Gut«, sagte Nik. »Gehen wir zu Gustav Schmieder!«
Ellie lächelte und nickte ihm zu. Benthe legte einen Arm um Niks Rücken und deutete mit dem anderen auf das hell erleuchtete Fenster.
»Warten wir, bis es dunkel ist«, schlug sie vor und gähnte.
Gustav klopfte an die Tür und betrat das Haus des Spiegelmachers. Er griff sich an die Brust. Was er hier sah, überstieg seine Befürchtungen um ein Vielfaches. Er humpelte ein paar Schritte in die Werkstatt, aber er musste immer wieder über jemanden hinwegsteigen. Er streckte die Arme nach dem Tisch aus, um Halt zu finden, denn sein steifes Bein bereitete ihm Schwierigkeiten, wenn der Boden nicht eben war.
Heinrich stand neben dem Ofen. Er beugte sich über gläserne Kolben, die auf der eisernen Platte des Herdes köchelten. Zwei Mädchen lagen zu seinen Füßen auf dem steinernen Boden. Ihre Gesichter waren die von alten runzeligen Frauen, deren weißes Haar strohig in ihren Nacken fiel.
»Was hast du getan?«, stöhnte Gustav. Heinrich beachtete ihn nicht. Gustav kniete sich neben die Mädchen und legte seinen Kopf auf ihre Brust. Sie atmeten noch. Mühsam stemmte er sich wieder hoch und wischte sich den Schweiß von der Stirn.
»Heinrich«, flüsterte Gustav und ging auf den alten Freund zu, der ihm schon vor
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