Das Geheimnis des Templers - Episode VI: Mitten ins Herz (German Edition)
bis vor kurzem gepflegte, würdevolle Bart waren mit Blut und Dreck
verschmiert.
D’Ours Kiefer schmerzte so fürchterlich, dass er seinen Mund kaum zu öffnen vermochte, und mit seinen geschwollenen Augenlidern
kostete es ihn einige Mühe, zu erkennen, was um ihn herum geschah. Arme und Beine, übersät mit blauen Flecken und kleinen,
schmerzhaften Brandmalen, konnte er nur noch mit äußerster Kraftanstrengung bewegen.
Bislang hatte er sämtlichen Folterungen erbittert Widerstand geleistet, indem er scheinbar über den Schmerz hinausgegangen
war und seinen Geist ermächtigt hatte, den Körper zu verlassen, um den unerträglichen Qualen mit Gleichmut begegnen zu können.
Und doch ergriff Zug um Zug eine jämmerliche Angst von seiner Seele Besitz. Was wäre, wenn König Philipp IV. von Franzien
und Guillaume de Nogaret, seines Zeichens Großsiegelbewahrer und Oberhaupt der königlichen Geheimpolizei, der sogenannten
Gens du Roi, herausfinden würden, dass Henri d’Our tatsächlich zu den Eingeweihten des Templerordens gehörte und sich trotz
seines bescheidenen Postens ab und an mit dem Großmeister oder dessen Vertreter in Franzien getroffen hatte? Vielleicht hatten
die Gens du Roi, deren grauenhafte Folter jedem anständigen |9| Menschen das Blut in den Adern gefrieren ließen, Spione in die wirtschaftlich unbedeutende Templerniederlassung im Osten der
Champagne eingeschleust, die dem Königshof in Paris regelmäßig Bericht erstatteten?
Ein Folterknecht, hässlich wie der Teufel, kam herbeigeschlurft. Mit einem blöden Grinsen zückte er seinen schweren Schlüsselbund
und öffnete das monströse Eisenschloss zu Henri d’Ours unfreiwilligem Domizil. Eine Maßnahme, die der Tatsache Hohn spottete,
dass er – wie alle Gefangenen an Armen und Beinen in Ketten gelegt – wohl kaum in der Lage sein würde, das Weite zu suchen.
»So mein Guter, auf zur nächsten Runde.« Die Ironie in der Stimme des Mannes war nicht zu überhören. »Man erwartet Euch bereits.«
Rücksichtslos zerrte er Henri d’Our aus der finsteren Behausung heraus.
»Heilige Jungfrau Maria«, betete der Komtur von Bar-sur-Aube lautlos, während er Mühe hatte, auf die Beine zu kommen. »Lass
mich stark bleiben in meiner Ehre und mutig im Glauben an das Gute in der Welt.«
Als er jedoch in die große, hell erleuchtete Folterkammer gelangte, war es um seinen Mut geschehen. Ein Stich fuhr ihm ins
Herz, als er erkennen musste, dass mit Francesco de Salazar ein weiterer Ritterbruder seiner Komturei in die Hände der Gens
du Roi gefallen war.
Und was die Sache weit schlimmer machte, war die weinende junge Frau, die an seiner Seite saß. Ohne Zweifel handelte es sich
um die Schwester des ehemals stolzen Katalanen, weil sie mit den gleichen, großen Haselnussaugen zum Komtur der Templer von
Bar-sur-Aube aufsah, als ob sie von ihm die himmlische Erlösung erwartete.
Francesco hing wie leblos und lediglich mit einer zerrissenen Unterhose am Leib an dem schräg gestellten Holzbrett wie Jesus
am Kreuz. Dunkel verfärbte Striemen überzogen seinen flachen Bauch, und münzgroße Brandmale umkreisten seine Brustwarzen wie
ein grausiger Reigen. Die Lippen, ausgetrocknet und blutverkrustet, waren dem unverwechselbaren Lachen mit den leuchtend weißen
Zähnen so fern wie nie zuvor.
Wie durch einen Nebel nahm Henri d’Our die nicht weniger vornehm gekleidete, ältere Frau wahr. Da sie offensichtlich in Ohnmacht
gefallen war, hatte man sie auf eine schmuddelige Matratze gebettet |10| und ihr Haupt von dem straffen Gebende befreit, das Frauen ihres Alters gewöhnlich trugen. Die dunklen, silberdurchwirkten
Locken und der olivfarbene Teint ließen auf Francescos Mutter, die Gräfin de Salazar, schließen. Ein Schauer überlief den
Komtur bei dem Gedanken, dass die Inquisition nicht einmal vor verängstigten Angehörigen Halt machte, um ihre Opfer zu einer
gefälligen Aussage zu zwingen.
Vornehmlich Frauen, getrieben von der Sorge um ihre Söhne und Brüder, wurden in die Verliese vorgeladen, um die bis dahin
standhaften Ritterbrüder zu einem belastenden Geständnis gegen den Orden zu bewegen. Nogaret und seine Leute wussten darum,
dass die gefangenen Templer die eigene Folter bis hin zum Tod ertrugen, nicht aber das Weinen und die Schreie der Frauen,
die dabei zuschauen mussten.
Neben der Gräfin stand ein Medicus. Er verkehrte regelmäßig an diesem Ort des Leidens, und in seinem langen schwarzen
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