Das Geheimnis des Templers - Episode VI: Mitten ins Herz (German Edition)
streifte Struan mit einem gequälten Blick
und nickte dann zu Johan hin.
»Ich werde ihn einweihen, Struan. Sag den anderen, wir kommen gleich nach.«
»Wie du meinst«, erwiderte der Schotte leise und setzte seinen Weg fort, wie ein geprügelter Hund, der sich nur noch danach
sehnt, ausgestreckt auf seinem Lager zu liegen und die Augen zu schließen.
Flüsternd setzte Gero seinen deutschen Landsmann über den eigentlichen Hintergrund des Auftrags in Kenntnis.
Johans Augen weiteten sich vor Verblüffung, dabei stieß er einen leisen Pfiff aus. »Bei allen Heiligen, wer hätte so etwas
gedacht? Und jetzt?«
»Keine Ahnung«, erwiderte Gero seufzend. »D’Our scheint selbst nicht zu wissen, wie er die Lage einschätzen soll. Niemand
weiß offenbar, was da auf uns zu rollt.«
»Aber irgendetwas muss an der Sache dran sein. Würde man sonst den gesamtem Inhalt unseres Tresors in den Wald des Orients
verlagern?«
»Nein, selbstverständlich nicht,« erklärte Gero im Brustton der Überzeugung. »Angeblich kommt der Befehl von ganz oben.«
»Fragt sich nur, wer oder was oben ist«, bemerkte Johan und drückte damit seine Verwunderung aus, dass der Großmeister Jacques
de Molay als oberster Dienstherr des Templerordens anscheinend nicht mehr in der Lage war, klare Befehle zu erteilen.
»Wie auch immer«, sagte Gero resigniert. »Wir können nur hoffen. Und beten. Alles andere ist müßig.«
Gemeinsam erhoben sie sich und gingen in den Mannschaftsraum, wo sich die übrigen Brüder bereits unter lautem Gemurmel auf
die Nachtruhe vorbereiteten.
Auf seinem Bett sitzend entledigte sich Gero seiner Schuhe und seines weißen Habits. Eine Ordensregel schrieb den Männern
vor, dass sie in Unterwäsche und bei gedämpftem Licht zu schlafen hatten, damit sie im Falle eines Angriffs unverzüglich einsatzbereit
waren.
Bevor er seine schmerzenden Glieder auf der weichen Matratze ausstreckte, schlug er die doppelten, graubraunen Decken aus
gewalkter Wolle zur Seite.
|53| Dann drückte er sich das kleine, mit Daunen gefüllte Keilkissen zurecht, das jedem Bruder zustand, und als er sich die Decken
überwarf, hatte er das Gefühl, als ob er sich unter einen Schutzschild begab.
Einen Moment später hatte er noch einmal das Bedürfnis, sich aufzurichten und sich die Gesichter der Anwesenden einzuprägen.
»Hey, Gero, du machst ja eine Miene wie Jesus am Kreuz.« Gianfranco da Silva, ein dunkel gelockter hagerer Sergeant aus der
Lombardei, stieß ihn von der Seite an und schnitt aufmunternde Grimassen. »Ist dir ein Floh ins Bett gesprungen?«
»Lass mich, ich bin müde, und wir haben morgen einen schweren Tag vor uns«, entgegnete Gero mürrisch.
»Hey, Breydenbach, ich hab da was, das dich aufmuntern wird«, flüsterte Gianfranco und stieß ihn derb an. Mit einem Grinsen
hielt ihm der Lombarde ein kleines, aufgefaltetes Pergament unter die Nase. Die überaus präzise Federzeichnung stellte eine
nackte Frau und einen nackten Mann in einer merkwürdig verschlungen Haltung dar. Beide hatten ihre Köpfe jeweils zwischen
die Schenkel des anderen gesteckt und befriedigten sich offenbar gegenseitig mit dem Mund.
»Mensch, Gian, pack diesen Schund wieder ein! Hast du das nötig? Ich denk, du bist verheiratet?«, knurrte Gero und wandte
sich ab. Er rollte sich auf die Seite und zog sich die Decken bis an die Nasenspitze. Nur so ließ sich vermeiden, dass Gianfranco
weitere, verräterische Spuren von Trauer und Angst in seinem Gesicht erkennen konnte.
»Oh, tut mir leid, dass ich Euch unerlaubt angesprochen habe, Sire«, spöttelte der Lombarde und schüttelte verständnislos
den Kopf.
Gero schloss die Augen und registrierte erleichtert, wie die Geräusche um ihn herum allmählich gedämpfter wurden, bis schließlich
nur noch hier und da ein Murmeln oder ein Flüstern zu vernehmen war.
Irgendwann musste er dann doch in einen unruhigen Schlaf gefallen sein, der von einem merkwürdigen Alptraum begleitet wurde.
Verfolgt von blutrünstigem Gesindel, rannte er um sein Leben. Er hatte Matthäus an der Hand und lief mit ihm quer über eine
Lichtung, um ihn in Sicherheit zu bringen. Unvermittelt wurden sie von einem merkwürdigen grünblauen Licht umfangen, das ihn
und den Jungen ins Dunkel riss. Dann erschien ihm eine Frau, schön wie die Jungfrau Maria selbst. Das kastanienfarbene, lange
Haar und die feinen Gesichtszüge ähnelten |54| in verblüffender Weise seiner geliebten Elisabeth.
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