Das Geheimnis des Templers - Episode VI: Mitten ins Herz (German Edition)
mächtigen, nachtschwarzen Friesen mit schnellen
Schritten zu den Stallungen führte. Der schottische Bruder nahm zwei Finger zwischen die Lippen und stieß einen lauten Pfiff
aus, der mehreren Knappen, die tatenlos herumlungerten, das Signal gab, ihm das Tier abzunehmen und abzuschirren.
Der Abendwind fuhr durch Struans weißen, knielangen Templermantel, und das rote Tatzenkreuz auf seinem Wappenrock leuchtete
sogar noch in der Dämmerung.
»Da ist Struan«, sagte Johan und nickte zu dem eindrucksvollen Hünen hin.
|40| Zu gerne hätte Gero gewusst, warum sein schwarzhaariger Freund so spät nach Hause kam und wieso er alleine unterwegs gewesen
war. Vielleicht kehrte er von einer Außenmission zurück. Struans Kleidung – Kettenhemd, lederne Reithose, darüber sein Schwertgehenk
und Messergürtel – deuteten darauf hin.
Templer ritten der Regel entsprechend mindestens zu zweit, wenn sie einen Auftrag zu erfüllen hatten. Es sei denn, es handelte
sich um ein persönliches Anliegen und der Komtur hatte die ausdrückliche Erlaubnis erteilt, dass man die Komturei zu diesem
Zweck ohne Begleitung verlassen durfte.
Aber was sollte Struan persönlich zu erledigen haben? Seine Verwandten kamen nie zu Besuch, und soweit Gero wusste, hatte
er keine Freunde, die außerhalb der Komturei wohnten. Krank war er auch nicht. Selbst wenn Gislingham so etwas behauptet hatte.
»Ich will ihn nur kurz begrüßen«, erklärte Gero mit einem entschuldigenden Blick zu Johan, »dann komme ich nach.«
Mit gesenktem Haupt begab sich Struan zu den Mannschaftsunterkünften. Verwundert stellte sich Gero die Frage, warum der stets
hungrige Schotte das Läuten zum Abendessen ignorierte.
Gero hatte Struan fast eingeholt, als der Schotte auf das Geräusch der Schritte aufmerksam wurde. Er blieb stehen und drehte
sich überrascht um. Seine Freude über Geros Erscheinen hielt sich in Grenzen. Das Lächeln war müde und der überkreuzte Handschlag
nur halbherzig, als sie sich auf die typische Art der Templer begrüßten.
Gero spürte, dass Struan etwas bedrückte, aber er wollte nicht fragen, was es war, bevor der Freund sein Herz nicht aus freien
Stücken erleichterte.
»Ich habe dich bei dem Einsatz nach Thors vermisst«, bemerkte Gero schlicht. »Hat der Alte dich wieder für eine Sonderaufgabe
herangezogen?«
Struan zögerte kurz, bevor er antwortete, und wich dabei Geros fragendem Blick aus. »Ich war beim Eremiten oben auf der Feuerkuppe
und habe mir eine Medizin zubereiten lassen.« Er stockte und rieb sich die Nase, dabei schaute er Gero nicht in die Augen,
sondern zum Hoftor. »Ich fühle mich schon seit längerem nicht wohl. Der Alte weiß Bescheid.«
|41| »Aha?« Gero stellte sich unwillkürlich die Frage, warum Struan so auffällig darauf bestand, dass der Komtur Bescheid wusste.
Wenn sie ein Leiden plagte, mussten sie als erstes dem Komtur Meldung machen. Seltsamerweise hatte Struan ihm nie etwas darüber
erzählt. Bisher erfreute sich der Schotte einer geradezu strotzenden Gesundheit. Und so sehr Gero auch in seiner Erinnerung
kramte, ihm kam kein einziger Bruder in den Sinn, der jemals die Dienste des Eremiten in Anspruch genommen hätte, ohne sterbenskrank
gewesen zu sein. Trotz seiner unumstrittenen Heilkunst waren die Methoden des kauzigen Templerveterans eher etwas für siechende
Greise, denen der Orden bei seinen Kreuzzügen im Outremer das Mark aus den Knochen gesogen hatte und die nun verzweifelt ihren
letzten Kampf kämpften, um dem Tod auf ihre alten Tage ein weiteres Mal ein Schnippchen zu schlagen.
Ohne es zu wollen, bedachte er seinen Freund mit einem abschätzenden Blick.
Struan drehte sich wortlos ab, um seinen Weg zur Unterkunft fortzusetzen. Gero hielt ihn am Ärmel seines Kettenhemdes zurück,
um wenigstens eine halbwegs vernünftige Antwort zu erhalten. Struan riss sich von Gero los.
»Was ist?«, fauchte er unwirsch.
Gero ließ sich nicht entmutigen. »Der Eremit hat nicht zufällig lange, goldblonde Haare, den Augenaufschlag eines Rehs und
ist dazu noch die Tochter unseres Weinhändlers?«
Struan erwiderte nichts. Seine Gesichtsfarbe wechselte von hellem Braun zu dunklem Rot.
»Dacht ich’s mir«, entfuhr es Gero.
Struan seufzte ergeben und fuhr sich mit seiner großen Hand nervös übers Gesicht, geradeso, als wolle er alle verdächtigen
Spuren daraus entfernen. Dabei starrte er für einen Moment in den tiefblauen Abendhimmel, als ob dort eine
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