Das Geheimnis des Templers - Episode VI: Mitten ins Herz (German Edition)
hat sie im Jahre
des Herrn 1291 in den letzten Wirren bei der Schlacht um Akko als ungefähr Sechsjährige von den zerschmetterten Leichen ihrer
Eltern weggeholt und |46| damit vor den einfallenden Mamelucken gerettet. Dabei hat er dem Allmächtigen ein heiliges Versprechen gegeben. Wenn es ihm
und seinen restlichen Kameraden gelänge, Akko und das Heilige Land lebend zu verlassen, würde er für dieses Kind sorgen und
später, im rechten Alter von zwölf Jahren, einem Kloster übergeben. Mich wollte er aus dem gleichen Grund zu den Templern
schicken, sobald ich den Ritterschlag erhalten hatte. Seine Bittgebete haben offensichtlich genützt, denn er und seine Kameraden
konnten trotz widrigster Umstände aus dem völlig zerstörten Akko entkommen. Und nicht nur das! Sie verhalfen dem damaligen
Komtur des Tempels von Akko und seinem Gefolge zu einer waghalsigen Flucht – niemand geringerem als unserem jetzigen Großmeister
Jacques de Molay und seinen verbliebenen Getreuen, zu denen auch unser geschätzter Komtur zählte!«
Struan stieß einen leisen, anerkennenden Pfiff aus. »Alle Achtung! Dann weißt du also recht gut, wie es in mir aussieht.«
Er sah Gero mit treuem Blick an und entlockte seinem deutschen Bruder dabei unwillkürlich ein leises Lächeln.
»Da magst du Recht haben«, erwiderte Gero. »Mein Eintritt bei den Templern nach dem Tod meiner Frau war denn auch eher eine
Flucht vor meiner eigenen Trauer und den cholerischen Ausbrüchen meines Vaters als ein Akt der Überzeugung oder des Gehorsams.«
Gero sah seinen Mitbruder ernst an. »Aber da ist noch etwas anderes, das ich dir sagen muss.«
»Was denn noch?«, knurrte Struan mürrisch. »Schlimmer kann es ja wohl nicht kommen.«
»Ich fürchte doch. Abgesehen davon, dass unser guter Bruder Guy deine Spur aufgenommen hat und dich beim Kapitel verraten
will, kann es sein, dass am kommenden Sonntag gar keine Kapitelversammlung mehr stattfindet. Ich hatte heute Nachmittag eine
Unterredung mit dem Alten.«
»Henri d’Our? Sag nur, er weiß schon von meinem Fehltritt?« Struan fuhr der Schreck in die Glieder.
»Wenn es so wäre«, antwortete Geron gelassen, »würde er dir keinen Spaten mehr anvertrauen, geschweige denn das Schicksal
des Ordens.«
Struan sah ihn verständnislos an. »Schicksal des Ordens?«
»Versprich mir zu schweigen«, flüsterte Gero.
|47| Struan hob seine dichten Brauen und nickte verblüfft.
In kurzen Zügen berichtete Gero, was d’Our ihm anvertraut hatte, wobei er Struan jedoch nichts über das Haupt der Weisheit
und den Auftrag in Heisterbach verriet. Dass er trotzdem gegen das Schweigegebot seines Komturs verstieß, ignorierte er geflissentlich.
Die Lage seines schottischen Freundes erschien ihm nicht weniger aussichtslos als die des Ordens. Daher sah Gero es als einen
Akt der Gnade an, dass er Struan mit der viel größeren Sorge um ihrer aller Zukunft ein wenig ablenken konnte. Doch der Schotte
ließ sich nicht beirren.
»Und was soll jetzt aus Amelie und mir werden?« Struan sah ihn fragend an. »Ungeachtet aller anderen Katastrophen, wird das
Kind in vier Monaten das Licht der Welt erblicken.«
»Bleib ruhig«, riet ihm Gero. »Lass uns abwarten, was morgen geschieht, und danach finden wir eine Lösung.«
Struan erhob sich und wandte sich seinem deutschen Bruder zu, der ebenfalls aufgestanden war. Er umarmte Gero fest und küsste
ihn anschließend auf den Mund. »Es tut gut, einen Freund wie dich zu haben«, sagte er rau. »Was auch geschieht, du wirst immer
ein Teil von mir sein.«
Als Gero wenig später zusammen mit Struan den menschenleeren Hof überquerte, spürte er eine Eiseskälte in sich aufsteigen.
Gnadenlos breitete sie sich in seinem Gedärm aus, kroch in dämonischer Langsamkeit den Rücken hinauf und bemächtigte sich
seiner Gedanken. Gleichsam überflutete ihn ein Gefühl, das er am meisten von allen Gefühlen hasste: Angst.
Die tanzenden Schatten im Kreuzgang erschienen ihm auf einmal wie hämisch grinsende Teufel, die ihre ungeteilte Freude über
Tod und Verdammnis verkündeten.
Struan erging es offenbar nicht viel besser. Stumm folgte er Gero in die Mannschaftsräume. Die Luft war stickig. Draußen hatte
es sich empfindlich abgekühlt, und um die Kälte nicht ins Innere dringen zu lassen, hatte man die Ziegenlederrollos heruntergelassen
und die Fenster von außen mit hölzernen Klappen geschlossen.
»Wo wart ihr?«, fragte Johan verblüfft.
Weitere Kostenlose Bücher