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Das Geheimnis des Viscounts

Titel: Das Geheimnis des Viscounts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Hoyt
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Hälfte meines Gesichts verloren, wofür ich Ihnen im Übrigen nicht die Schuld gebe."
    Jasper blieb stehen. „Wie bitte?"
    Auch Munroe blieb stehen und wandte sich nach ihm um. Er deutete auf seine Augenklappe. „Das hier. Ich gebe Ihnen nicht die Schuld daran. Habe es nie getan."
    Jasper sah beiseite. „Wie können Sie mir nicht die Schuld geben? Weil ich zusammengebrochen bin, haben die Wilden Ihnen das Auge ausgestochen." Er hatte gestöhnt vor Entsetzen darüber, was seinen Mitgefangenen angetan wurde.
    Munroe schwieg eine Weile. Jasper ertrug es kaum, ihn anzusehen. Früher war der Schotte ein ziemlich attraktiver Mann gewesen. Viele Worte hatte er noch nie gemacht, doch auch keine Neigung zur Einsiedelei gezeigt. Im Gegenteil: Er hatte mit den anderen Männern am Feuer gesessen und über ihre derben Witze gelacht. Ob Munroe jetzt überhaupt noch lächeln konnte?
    Endlich sprach er. „Das war wirklich die Hölle auf Erden, was?"
    Jasper biss die Zähne zusammen und nickte.
    „Aber es waren auch nur Menschen, keine Dämonen."
    „Wer?"
    Munroe hatte den Kopf in den Nacken gelegt, sein unversehrtes Auge geschlossen. Es sah aus, als lasse er sich den Wind um die Nase wehen. „Die Indianer, die uns gefoltert haben. Es waren Menschen; keine Tiere, keine Dämonen, sondern Menschen. Sie hatten ihren eigenen Willen. Sie wollten uns foltern, wollten mir das Auge ausstechen. Wie also sollte es Ihre Schuld gewesen sein?"
    „Hätte ich nicht gestöhnt ..."
    „Ach, wissen Sie, Vale", seufzte Munroe. „Selbst wenn Sie keinen einzigen Laut von sich gegeben hätten, hätten sie es mir ausgestochen."
    Ungläubig starrte Jasper ihn an.
    Der andere schien es zu spüren und nickte bedächtig. „Ja, ich habe mich eine Weile damit beschäftigt, mit den Sitten und Gebräuchen der amerikanischen Indianer. So ist es Brauch bei den Wyandot: sie foltern ihre Gefangenen." Die nicht vernarbte Seite seines Mundes zuckte kaum merklich, doch was ein belustigter Zug hätte sein können, sah alles andere als belustigend aus. „So wie es bei uns Brauch ist, kleine Jungen an den Strick zu knüpfen, wenn sie einem Gentleman in die Rocktasche greifen. Auch das kann man maßlos finden. Wir haben unsere Bräuche, sie die ihren. Den Gegner zu foltern ist schlicht ihre Gepflogenheit."
    „Ich verstehe nicht, woher Sie diese Gelassenheit nehmen. Fast scheint es, als hätten Sie Verständnis für deren grausames Tun", sagte Jasper. „Empfinden Sie keinen Zorn?"
    Munroe zuckte die Schultern. „Ich bin Forscher und darin geübt, die Dinge leidenschaftslos zu betrachten. Jedenfalls gebe ich Ihnen nicht die Schuld für das, was mir geschehen ist. Ihre Frau hat geradezu darauf bestanden, dass ich Ihnen das sage."
    „Danke."
    „Wir sollten die Liste von Lady Vales Tugenden noch um treu und entschlossen ergänzen. Ich frage mich wirklich, wo Sie ihr über den Weg gelaufen sind.”
    Jasper schnaubte.
    „Ein Lebemann wie Sie hat eine solche Frau wahrlich nicht verdient."
    „Dass ich sie nicht verdient habe, heißt noch lange nicht, dass ich nicht um sie kämpfen würde."
    Munroe nickte. „Sehr vernünftig von Ihnen."
    Schweigend gingen sie weiter, doch es war ein einvernehmliches Schweigen, das Jasper überraschend angenehm fand. Munroe war nie ein naher Freund gewesen, dazu waren ihre Interessen, ihre Persönlichkeiten zu verschieden. Aber er war damals dabei gewesen. Er kannte die Männer, die nun tot waren, er war an einen Strick gebunden durch diese höllischen Wälder marschiert und vom Feind gefoltert worden. Ihm musste man nichts erklären, nichts vor ihm verbergen. Er war dabei gewesen, und er wusste Bescheid.
    Sie waren zur zweiten Terrasse hinabgestiegen, wo Munroe stehen blieb und seinen Blick schweifen ließ. Ein Fluss war in der Ferne zu erkennen, rechts davon Weideland. Es war eine herrliche Landschaft. Der große Wolfshund war ihnen gefolgt und ließ sich nun mit einem tiefen Seufzer neben Munroe nieder.
    „Sind Sie deshalb gekommen?", fragte Munroe. „Damit ich Ihnen verzeihe?"
    „Nein", sagte Jasper, zögerte dann und dachte an sein Geständnis, das er Melisande letzte Nacht gemacht hatte. „Oder doch, vielleicht. Aber es ist nicht der einzige Grund."
    Munroe sah ihn an. „Nein?"
    Und dann erzählte Jasper ihm alles. Er berichtete ihm von Samuel Hartley und dem Brief mit der ungeheuerlichen Anschuldigung. Von Dick Thornton, der in seiner Zelle in Newgate wie ein Irrer gelacht hatte. Von Thorntons Andeutung, dass der

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