Das Geheimnis des Viscounts
Diesen Winter erhielt ich einen Brief eines französischen Botanikers, in dem er von einer Tischgesellschaft berichtete, zu der er in Paris geladen war. Unter den Gästen fand sich auch ein junger Engländer namens Horn, der während des Krieges in den Kolonien gewesen war. Das dürfte unser Matthew Horn gewesen sein, meinen Sie nicht auch?"
„Möglich ist es." Noch immer ungläubig schüttelte Jasper den Kopf. „Was kann er nur in Paris gewollt haben?"
„Sich die Sehenswürdigkeiten ansehen?"
Jasper hob eine Braue. „Wo wir uns mit den Franzosen im Krieg befinden?"
Munroe tat es mit einem Achselzucken ab. „Wenn man es so sieht, müsste auch meine Korrespondenz mit dem französischen Kollegen als Verrat gelten."
Resigniert seufzte Jasper auf. „So kommen wir nicht weiter. Ich weiß, dass meine Anhaltspunkte bestenfalls vage sind, aber ich kann Spinner's Falls einfach nicht vergessen. Sie etwa?"
Munroe lächelte bitter. „Wie könnte ich? Nein, ich werde es niemals vergessen."
„Warum besuchen Sie uns nicht mal in London, mich und meine Gemahlin?", fragte Jasper aus einem Impuls heraus.
„Kinder fangen an zu weinen, wenn sie mich sehen, Vale." Munroe sagte es so kühl und nüchtern, als sei es eine unumstößliche Tatsache.
„Fahren Sie noch ab und an nach Edinburgh?"
„Nein, ich gehe nirgends mehr hin."
„Sie haben sich also hier auf ihrer Burg verschanzt."
„Aus ihrem Munde klingt das ungeheuer dramatisch", meinte Munroe und verzog spöttisch die Lippen. „Aber das ist es nicht. Keineswegs. Ich habe mich mit meinem Schicksal abgefunden. Ich habe meine Bücher, meine Studien, ich korrespondiere und schreibe. Ich bin ... zufrieden."
Jasper betrachtete ihn zweifelnd. Zufrieden damit, in einem alten, zugigen Gemäuer zu leben, mit nur einem Hund und einem griesgrämigen Diener zur Gesellschaft?
Als spüre er Jaspers Zweifel, wandte Munroe sich zurück zum Haus. „Kommen Sie, Vale. Wir haben noch nicht gefrühstückt, und Ihre Frau wartet gewiss schon auf Sie."
Er marschierte voraus.
Jasper fluchte still und folgte ihm. Munroe war nicht willens, sein sicheres Nest zu verlassen, und ehe der schottische Dickschädel nicht dazu bereit wäre, halfen alle Argumente und Überredungskünste nichts. Jasper blieb nur zu hoffen, dass Munroe sich bald einsichtig zeigen würde.
„Dieser Mann bedarf dringendst einer Haushälterin", beschied Melisande, als sie wieder in der Kutsche saßen und Sir Alistairs Bastion hinter sich ließen. Sally war bereits in ihrer Ecke eingenickt.
Jasper warf ihr einen belustigten Blick zu. „War das Bettlinnen nicht zu deiner Zufriedenheit, mein Herz?"
Angewidert verzog sie die Lippen. „Die Laken rochen muffig, überall war Staub, die Speisekammer war fast leer, und dann dieser schreckliche, grässliche Diener. Kurzum: Nein, es war nicht zu meiner Zufriedenheit."
„Ein Glück, dass wir heute Nacht wieder auf frischen Laken nächtigen können", entgegnete Jasper lachend. „Tante Esther meinte, sie würde sich freuen, uns auf der Rückreise noch einmal willkommen zu heißen. Wahrscheinlich ist sie schon gespannt, was wir über Munroe zu berichten haben."
„Sehr wahrscheinlich."
Melisande nahm ihren Stickrahmen heraus, sortierte die Nähseide und suchte nach einem passenden Gelb. Ein paar Zwirne mussten noch übrig sein, und ein helles Zitronengelb würde etwas Leben in die Löwenmähne bringen.
Nachdem sie sich mit einem Blick auf Sally vergewissert hatte, dass das Mädchen auch wirklich schlief, fragte sie: „Hast du von Sir Alistair erfahren, was du wissen wolltest?"
„Gewissermaßen." Er schaute zum Fenster hinaus; sie wartete und fädelte den Zwirn ein. „Jemand hat uns bei Spinner's Falls verraten, und ich versuche herauszufinden, wer es war."
Sie runzelte konzentriert die Stirn, als sie den ersten Stich setzte — gar nicht so einfach in einer rumpelnden Kutsche. „Hast du geglaubt, Sir Alistair könne es gewesen sein?"
„Nein, aber er könnte mir helfen, es herauszufinden."
„Und hat er dir geholfen?"
„Vielleicht. Vielleicht auch nicht."
Man sollte meinen, dass er über dieses dürftige Ergebnis einer langen Reise enttäuscht wäre, doch Jasper klang eigentlich recht frohgemut. Melisande lächelte still und widmete sich ein Weilchen der Löwenmähne. Vielleicht hatte die Unterredung mit Sir Alistair ihm ja ein bisschen Frieden gebracht.
„Milchpudding", sagte sie auf einmal.
Fragend sah er sie an. „Wie bitte?"
„Du hast mich mal
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