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Das Geheimnis des Viscounts

Titel: Das Geheimnis des Viscounts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Hoyt
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Stühle und wippte unruhig mit dem linken Bein wie ein kleiner Junge, den man dazu verdonnert hatte, still zu sitzen. Melisande hätte ihm am liebsten die Hand aufs Knie gelegt, damit er damit aufhörte. „Als Zimmermädchen müsste sie eigentlich noch eine Kohlenschaufel in der Hand haben. Das dürfte dann allerdings recht anstrengend werden. So eine Kohlenschaufel ist ziemlich schwer."
    „Sie ist ein Milchmädchen", murmelte Melisande.
    „Wirklich?" Er zog seine buschigen Brauen zusammen. „Wie soll sie denn melken, mit diesen Panniers?"
    „Schsch!", zischte jemand hinter ihnen.
    „Ich meine", flüsterte Lord Vale kaum leiser, „trampeln ihr die Kühe da nicht andauernd auf den Röcken herum? Wie unpraktisch das sein muss. Nicht dass ich allzu viel über Kühe wüsste. Oder über Milchmädchen. Höchstens über Käse. Käse mag ich sehr", setzte er hinzu.
    Melisande musste sich auf die Lippe beißen, um nicht laut loszukichern. Wie seltsam! Das passierte ihr sonst nie. Kichern war nun wahrlich nicht ihre Sache. Aus den Augenwinkeln warf sie einen verstohlenen Blick auf ihren Verlobten und stellte fest, dass er sie beobachtete.
    Ein Lächeln spielte um seine Lippen und wieder neigte er sich ihr zu, bis sie seinen Atem warm auf ihrer Wange spürte. „Ich liebe Käse. Und Weintrauben, vor allem die großen, runden, roten, die mit einem Biss so süß und saftig im Mund zerplatzen. Mögen Sie Weintrauben?"
    Obwohl an seinen Worten wenig auszusetzen war, sagte er sie auf eine Weise, die sie fast erröten ließ. Und auf einmal erinnerte sie sich, wie oft sie ihn so schon gesehen hatte: einer Dame zugeneigt, der er kleine Anzüglichkeiten ins Ohr flüsterte. Unzählige Male hatte er sich im Laufe der Jahre so gegeben, mit ungezählten Damen auf ungezählten Geselligkeiten. Aber diesmal war es anders.
    Diesmal flirtete er mit ihr.
    Und so hielt sie sich kerzengerade, senkte sittsam den Blick und sagte leise: „Ich mag Weintrauben, Mylord, aber Himbeeren mag ich noch lieber. Die Süße der Himbeere ist weniger aufdringlich als die der Traube. Und manch eine hat auch eine erfrischende Note und noch ein bisschen ... Biss."
    Als sie aufsah, ruhte sein Blick nachdenklich auf ihr. Sie erwiderte seinen Blick ruhig, wich ihm nicht aus — ob als Warnung oder Herausforderung wusste sie selbst nicht —, bis ihr auf einmal der Atem stockte und das Blut in die Wangen stieg. Sein übliches, sorgloses Lächeln war verschwunden, ja, er lächelte überhaupt nicht mehr, und etwas Ernstes, Dunkles starrte ihr aus seinen Augen entgegen.
    Dann brach das Publikum in Applaus aus, und Melisande zuckte ob des plötzlichen Lärms zusammen. Lord Vale sah beiseite, und der Moment war vorüber.
    „Soll ich Ihnen ein Glas Punsch holen?", fragte er.
    „Ja." Sie schluckte. „Das wäre nett, danke."
    Und sie sah ihn aufstehen und davonschlendern, spürte, wie die Welt auf einmal wieder eindrang und ihre Sinne bestürmte. Hinter ihr tratschte die junge Matrone, die sie eben zur Ruhe ermahnt hatte, mit einer Freundin. Melisande schnappte nur „andere Umstände" auf, dann wandte sie sich ab, um das Getuschel nicht länger zu hören. Lady Eddings' Tochter wurde zu ihrer Darbietung beglückwünscht. Ein junger Mann mit pickeligem Gesicht stand treu an ihrer Seite und hielt, ganz Kavalier, den Eimer. Melisande strich ihre Röcke glatt und war nur froh, dass niemand mit ihr sprechen wollte. Wenn man sie einfach in Ruhe dasitzen und die anderen Leute beobachten ließ, machten ihr Veranstaltungen wie diese beinahe Spaß.
    Sie sah sich nach Lord Vale um und entdeckte ihn in der kleinen Gruppe, die sich um das Buffet eingefunden hatte. Zu übersehen war er ja kaum. Er überragte die anderen Gentlemen fast um Haupteslänge und lachte auf seine freimütige Weise, streckte dabei in großer Geste den Arm von sich und hätte fast die Perücke seines Nebenmanns mit Punsch getränkt. Melisande lächelte. Seine Überschwänglichkeit war geradezu ansteckend. Doch dann sah sie, wie seine Miene sich kaum merklich veränderte. Er lächelte noch immer, doch nicht mehr so offen, und um seine Augen trat ein angespannter, wachsamer Zug. Wahrscheinlich war es sonst niemandem aufgefallen. Ihr schon. Melisande folgte seinem Blick. Ein Gentleman mit weißer Perücke hatte soeben den Salon betreten. Er plauderte mit der Gastgeberin, ein höfliches Lächeln auf den Lippen. Irgendwie kam er ihr bekannt vor, aber sie wusste nicht woher. Er war von mittlerem Wuchs, mit einem

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