Das Geheimnis des Viscounts
strich ihm über die Nase. „Ich weiß."
Jasper schien noch mehr sagen zu wollen, überlegte es sich dann anders und ließ seinen Blick durch den Salon schweifen. Sie konnte förmlich spüren, dass er am liebsten aufgesprungen und auf und ab gegangen wäre, um seiner Unruhe Herr zu werden. Stattdessen begann er mit den Fingern auf den Armlehnen zu trommeln. Müde sah er aus, erschöpft, und nun, da aller Schalk aus seinen Augen gewichen war, auch älter.
Sie mochte ihn nicht so niedergeschlagen sehen, und ihr tat das Herz weh bei seinem Anblick. „Möchtest du einen Brandy?", fragte sie. „Oder etwas zu essen? Gewiss hat die Köchin noch etwas vom Abendessen aufgehoben."
Er schüttelte den Kopf.
Nachdenklich betrachtete sie ihn und war auf einmal verwirrt. Sie liebte diesen Mann, hatte ihn schon immer geliebt, doch eigentlich kannte sie ihn kaum. Sie wusste nicht einmal, was sie für ihn tun konnte, wenn er so niedergeschlagen und betrübt war wie jetzt. Schließlich senkte sie den Blick, runzelte die Stirn und schnitt das Ende ihres Fadens ab. Dann suchte sie aus ihrem Nähkorb eine Stickseide in der Farbe reifer Himbeeren heraus.
Jasper hörte auf, mit den Fingern zu trommeln und musterte ihre Handarbeit. „Sieht fast wie ein Löwe aus."
„Es soll ein Löwe sein", erwiderte sie ruhig und setzte den ersten Stich an der Zunge des Löwen.
„Ein bisschen ungewöhnlich, oder?"
Mit noch immer gerunzelter Stirn sah sie ihn an.
Leise Belustigung huschte über sein Gesicht. „Womit ich natürlich nicht sagen will, dass es keine gute Stickerei wäre. Doch, doch, sehr ... äh, hübsch."
„Danke."
Er trommelte weiter.
Sie stickte den Umriss der Löwenzunge und begann sie dann mit feinen, himbeerrot schimmernden Stichen zu füllen. Es war schön, hier mit ihm beisammenzusitzen, auch wenn sie beide nicht recht zu wissen schienen, was sie sagen oder tun sollten. Sie seufzte still. Vielleicht stellte sich solches Wissen ja im Laufe der Zeit ein.
Jasper hörte wieder auf zu trommeln. „Fast hätte ich es vergessen. Ich habe dir etwas mitgebracht." Er kramte in seiner Rocktasche.
Melisande legte ihren Stickrahmen beiseite, um eine kleine Schatulle entgegenzunehmen.
„Sozusagen als Entschuldigung dafür, dass ich dich heute Morgen so angeherrscht habe", fügte er hinzu. „Ich habe mich unmöglich aufgeführt. Geradezu wie ein Schuft und der schlechteste aller Ehemänner."
Melisande schmunzelte leise. „Ganz so schlimm war es nicht."
Er schüttelte den Kopf. „Es gehört sich einfach nicht, seine Gemahlin anzuschreien, als sei man von Sinnen, und ich versichere dir, dass ich derlei schon aus Prinzip nicht tue. Zumindest nicht, wenn ich meine morgendliche Tasse Tee bekommen habe."
Sie öffnete die Schatulle und fand kleine Granat-Ohrringe darin. „Wie hübsch."
„Gefallen sie dir?"
„Ja, danke."
Zufrieden nickte er und sprang auf. „Hervorragend. Dann wünsche ich dir jetzt eine gute Nacht."
Sie spürte seine Lippen auf ihrem Haar, und schon war er an der Tür, sah dann aber noch einmal über die Schulter zurück. „Du brauchst heute nicht auf mich zu warten."
Fragend hob sie eine Braue.
Er schien verlegen. „Ich meine, ich werde heute Nacht nicht zu dir kommen. Ist noch zu früh, oder? Nach der Hochzeitsnacht, meine ich. Ich wollte es dir nur sagen, damit du dir keine Sorgen machst. Schlaf gut, mein Schatz."
Sie senkte den Blick und musste sich auf die Lippen beißen, um die Tränen zurückzuhalten, doch er war schon zur Tür hinaus.
Melisande blinzelte ein paar Mal, betrachtete dann wieder die kleine Schatulle mit den Granat-Ohrringen. Sie waren wirklich hübsch, aber sie trug nie Ohrringe. Ihre Ohrläppchen waren nicht einmal durchstochen. Mit der Fingerspitze strich sie über einen der Edelsteine und fragte sich, ob er sie, Melisande, überhaupt schon einmal angesehen — sie wirklich angeschaut — hatte.
Behutsam schloss sie die Schatulle und legte sie in ihren Nähkorb. Dann suchte sie ihre Sachen zusammen und verließ den Salon, Mouse dicht auf den Fersen.
Kapitel 5
Da stand der Bettler auf, und auch ihm fielen seine Lumpen vom Leib, doch enthüllten sie ein schreckliches Geschöpf, halb Tier, halb Mann, das über und über mit schwarzen, stinkenden Schuppen bedeckt war.
„Zum Teufel soll ich mich scheren?", zischte der Dämon, denn ein solcher konnte es nur sein. „Wollen wir doch sehen, wer hier wen verflucht!"
Und schon begann Jack zu schrumpfen. Arme und Beine wurden ihm so
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