Das Geheimnis des Walfischknochens - Roman
Wenn Mattes das tut, dann hast du keinerlei Chance, jemals wieder an ihn ranzukommen. Ich will dich nicht verunsichern, aber so anziehend wie ihn sein Sturkopf macht, im Zweifelsfall macht es ihn zu einem Mann aus Eis, an dem du nur abprallst und dich verletzt.«
Greta strich sich das Haar aus dem Gesicht, in den Strähnen hatten sich erste Regentropfen verfangen. Obwohl ihr alles Mögliche auf der Zunge lag, konnte sie Mathilde nur stumm ansehen. Und sie erkannte, dass die alte Narbe doch noch schmerzte – ganz gleich wie zufrieden Mathilde heute mit ihrem Leben war. An jemandem, den man liebt, dermaßen zu scheitern war sicherlich eine schockierende Erfahrung gewesen. Wie kann ein Mann gegenüber der Frau, die er liebt, nur schlagartig so kalt werden? , fragte sie sich und musste daran denken, was Mattes über seine Mutter erzählt hatte. Dieser Verlust konnte unmöglich spurlos an ihm vorbeigegangen sein.
»Danke, Mathilde«, brachte sie schließlich hervor. »Herzlichen Dank für deine ehrlichen Worte, wozu sie auch gut sein mögen.«
Mathilde blieb stehen und legte sanft eine Hand auf Gretas Unterarm. »Egal, was du jetzt über Mattes denkst – er ist wirklich ein großartiger Mensch, trotz allem, was zwischen uns passiert ist. Nun kennst du seine Achillesferse, und wenn dir an ihm liegt, dann solltest du sie besser niemals berühren.«
23
Das Klopfen an der Tür ließ Greta zusammenfahren, und ihr beinahe gelungener Lidstrich endete in einem Za cken. Dieses Gepinsel ist einfach nichts für mich. Jetzt sehe ich aus wie Alice Cooper , stellte sie genervt fest. Während sie den Schaden zu beheben versuchte, ohne das Gesamtwerk zu gefährden, rief sie »Herein«, obwohl sie ahnte, wer dort vor der Tür stand. Anette hatte sich den Tag über hinter Schweigen verschanzt, in der Hoffnung, ihr desolater Zustand würde bei ihren herzlosen Anverwandten einen Meinungsumschwung herbeirufen. Greta musste sie leider enttäuschen, denn sie war recht froh über dieses Schweigen. Nun sah es jedoch danach aus, als hätte ihre Mutter den passiven Widerstand aufgegeben. Was auch immer Anette zum Auftakt hatte sagen wollen, sie vergaß es, als sie Greta vorm Badezimmerspiegel fand, die vorsichtig mit einem Kosmetiktuch an ihrem Augenlid rieb.
»Du schminkst dich? Warum?«
»Weil ich noch einmal um den Block will und ohne Schminke gruslig übernächtigt aussehe. Meine Augenringe werden allmählich chronisch.«
Anettes Verblüffung war nicht gespielt. »Du willst in einer solchen Situation ausgehen?«
»Warum nicht?«, fragte Greta zurück. »Arjen schläft, und du hast betont, dass dir nicht nach einem gemeinsamen Abendessen zumute ist. Du wirst ja wohl kaum erwarten, dass ich auf meinem Zimmer bleibe und um Arjen trauere, obwohl er noch lebt.«
»Wie kannst du nur so kalt sein?«
Die Anschuldigung traf Greta wie ein Schlag ins Gesicht, obwohl sie schon früher mit einem derartigen Kommentar gerechnet hatte. Es war trotzdem ungerecht, wo sie doch alle Kraft darauf verwendete, die Haltung zu wahren – und dafür wurde sie dann auch noch abgestraft. »Ich bin nicht kalt«, erwiderte sie leise. »Ganz im Gegenteil, ich habe noch nie so sehr das Bedürfnis verspürt, mich zwischen den Kissen zu verkriechen und meinem Kummer freien Lauf zu lassen. Das würde Großvater allerdings nur verletzen und ihm die Zeit verleiden, die er noch hat. Genau aus diesem Grund hat er uns doch nichts von seiner Erkrankung erzählt, weil er nicht zu Lebzeiten von seiner Familie betrauert werden wollte. Damit du mich nicht falsch verstehst: An deinen Gefühlen ist nichts verkehrt, aber wenn du Arjen liebst, dann respektiere seinen Wunsch, wie er seinen Weg zu Ende gehen will. Dieses Kräftemessen, wer die Entscheidungen fällt, muss endlich aufhören, damit tust du dir selbst und uns keinen Gefallen.«
»Wie kannst du mir nur unterstellen, ich würde ein Kräftemessen austragen? Ich liebe Arjen und will doch nur das Beste für ihn.«
»Das weiß ich … Und er weiß es bestimmt auch.« Greta streckte die Hand nach ihrer Mutter aus, die die Berührung duldete, obgleich sie den Blickkontakt weiterhin mied. »Du bist doch eine starke Frau, schieb deine Angst und Sorge beiseite und geh auf Großvater zu. Mach ihm klar, dass er dich nicht länger schützen muss, indem er sich dir entzieht. Arjen braucht dich nämlich tatsächlich, als Freundin und als Tochter, denn genau das bist du für ihn.«
Anette brach in Tränen aus, doch dieses Mal waren
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