Das Geheimnis des Walfischknochens - Roman
Generationen immer die richtigen Entscheidungen zur richtigen Zeit getroffen haben. Doch als Mattes noch ein Kind war, begann ihr Stern unterzugehen. Mattes’ Großvater Ole hatte den Laden noch mit eiserner Hand regiert, aber sein Sohn Volker ist in so ziemlich jeder Hinsicht ein Versager. Vermutlich hätte die ältere Tochter Rose ein besseres Händchen für die neuen Herausforderungen gehabt, denen sich die Fischereibetriebe damals stellen mussten, aber sie lag ihr Leben lang mit ihrem Vater Ole im Streit und hat sich schließlich sogar abgesetzt – da war Mattes noch ein Kind. Jedenfalls war von dem einst stolzen Betrieb nicht viel übrig, als Mattes ihn schließlich übernommen hat: bloß das Haus mit dem Laden, eine Räucherei, die bestenfalls den Inselbedarf deckt, ein paar morsche Kutter und eine Handvoll übrig gebliebener Handelsbeziehungen, die ihn mit Müh und Not schwarze Zahlen schreiben lassen. Eigentlich bliebe einem klugen Kopf wie Mattes nichts anderes übrig, als den Betrieb mit allem Drum und Dran zu verkaufen und sich etwas Neues aufzubauen, denn dafür hat er bestimmt die nötigen Ideen und das Knowhow. Aber das wird er auf keinen Fall tun. Und weißt du, warum?«
Obwohl Greta die Antwort ahnte, schüttelte sie den Kopf.
»Weil Mattes glaubt, dass man nicht vor seinem Schicksal davonlaufen kann – seine Mutter hat es getan, und er hat es eine Zeit lang ebenfalls versucht, nur um festzustellen, dass er hierhergehört, nach Beekensiel. Und konsequent, wie er nun einmal ist, gehört für ihn der Familienbetrieb dazu – ob er ihn nun in einen Abgrund reißt oder nicht.«
»Was du mir sagen willst, ist, dass man Mattes nur als Ennenhof bekommt.« Greta dachte darüber nach. »Ich glaube, damit kann ich leben, so wie die Dinge heute stehen. Seine Familie hat als Unternehmen sicherlich Fehler gemacht und oftmals unmoralisch und gierig gehandelt, aber dafür ist Mattes nicht verantwortlich. Es sei denn, er würde die vergifteten Geschäftspraktiken fortsetzen …«
»Nein, das tut er auf keinen Fall. Mattes ist ein grundehrlicher Mensch, der Beekensiel Gutes will, anstatt es auszubeuten«, beeilte sich Mathilde richtigzustellen. »Aber er trägt an einem schweren Erbe, das er sich nicht abnehmen lässt. Das war damals auch unser Problem: Ich wollte dieses alte Haus mit der zimtzickigen Adele am liebsten genauso loswerden wie den Fischhandel, den Mattes in Wirklichkeit hasst. Geschäftsessen, Zahlen, Taktieren … Das liegt ihm einfach nicht im Blut, er ist vielmehr ein zupackender Mensch. Du kennst ja die Zimmer im Sturmwind, die er für Trude in seiner Freizeit hergerichtet hat. Oder die Fischräucherei – das sind Dinge, in denen er sich wiederfindet, die ihn befriedigen. Stattdessen verbringt er die meiste Zeit in dem stickigen Büro hinterm Laden und quält sich mit Angeboten und Vertragsbedingungen herum. Wir haben uns deshalb nächtelang die Köpfe heißgeredet, und irgendwann habe ich beschlossen, ihm die Pistole auf die Brust zu setzen, weil ich nicht an der Seite eines unglücklichen Mannes leben wollte. Doch er hat zu mir gesagt: ›Ich kann den Betrieb nicht abstoßen, er steht für den Namen Ennenhof, und genau das bin ich. Meine Mutter hat diese Verantwortung abgelehnt und bloß bemängelt, was alles falsch gelaufen ist, ehe sie sich einfach aus dem Staub gemacht hat – um in der Fremde so zu tun, als habe sie keine Wurzeln. Das will ich aber nicht, ich will keine Lüge leben. Wenn du das von mir verlangst, dann verlangst du zu viel.‹« Mathilde blinzelte, als würden sie diese vor Jahren gesagten Worte immer noch erschüttern. »Dabei ist er dann geblieben, er ist nicht einen Millimeter von seiner Position abgewichen, egal, was ich getan oder gesagt habe. Heute weiß ich, dass es falsch war, ihn zu bedrängen, Mattes sieht in solchen Situationen rot. Aber als er so unnahbar vor mir stand, konnte ich mich nicht zurückhalten. ›So funktioniert das nicht, Mattes‹, habe ich zu ihm gesagt. ›Nicht in einer Beziehung. So baut man sich kein gemeinsames Leben auf, da wackelt ja schon das Fundament.‹ Er hat bloß genickt und angefangen, mir beim Packen zu helfen. Ich war so in meinem Stolz gekränkt, dass ich gar nicht erst versucht habe, ihn umzustimmen. Wenn ich ihn seitdem gesehen habe, war er immer wie erstarrt, freundlich, geradezu unheimlich höflich, aber ich habe es in seinen Augen gesehen, dass er in seinem Inneren eine Tür verriegelt hat, seine Gefühle verdrängt hat.
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