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Das Geheimnis des Walfischknochens - Roman

Das Geheimnis des Walfischknochens - Roman

Titel: Das Geheimnis des Walfischknochens - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Heitmann
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einzige Besucherin. Sie setzte sich auf eine Bank, auf der sie die spärliche Beleuchtung am besten nutzen konnte. Mit steifen Fingern öffnete sie den Umschlag. Zuerst kam ein Zettel zum Vorschein, der mit der gleichen Handschrift beschriftet war, in der auch ihr Name auf dem Umschlag stand.
    Liebe Greta,
    ich hoffe, Du hast Dich gut von unserem Marsch durch den Birkenwald erholt, und dass der Sturz durchs Mauerwerk Dir nicht allzu viele blaue Flecken eingebracht hat.
    Mein Abstecher nach Aurich hat sich gelohnt, ich habe nämlich einen Fotoladen gefunden, der tatsächlich noch über ein eigenes Fotolabor verfügt. Der Inhaber hat sich richtig gefreut über die Herausforderung, hat die Negative gereinigt und das Beste aus ihnen rausgeholt. Er meinte allerdings, dass einige Aufnahmen sehr unscharf seien.
    Ich muss zugeben, dass es mich ziemlich in den Fingern gejuckt hat, einen Blick auf die Fotos zu werfen, aber ich habe mich beherrscht. Vielleicht möchtest Du mich ja heute Abend besuchen kommen und sie mir zeigen? Ich koche auch!
    Bis dahin,
Mattes
    In der Einsamkeit der Kirche gönnte Greta sich ein leises Lachen, das von den Wänden widerhallte. Für einen Mann wie Mattes war das eine ziemlich deutliche Einladung. Ich koche auch – wow! Noch ein wenig direkter und er hätte vermutlich die Nerven verloren und den Zettel die Toilette runtergespült. Dass er sich überhaupt dazu hatte durchringen können, ein paar Zeilen zu schreiben … Ja, vom Temperament her passten sie wirklich hervorragend zusammen: Sie waren beide eigentlich die Zurückhaltung in Person und dennoch als Hitzköpfe verschrien.
    Immer noch schmunzelnd holte Greta die Abzüge hervor, die in der bislang ungeöffneten Originaltasche des Fotoladens steckten. Ein weiterer Baustein in diesem Puzzle, dessen Sog sie selbst in den Momenten spürte, als sie am Krankenbett ihres Großvaters saß oder mit Mattes zusam men war. Wie ein fernes Glitzern in der Dunkelheit, lo ckend, voller Versprechungen. »Gleich habe ich dich«, flüsterte Greta.
    Das erste Foto zeigte Arjen als Kind. Es war jene Aufnahme, die Ruben von ihm gemacht hatte und einen rundlichen, verlegenen Jungen zeigte. Dann kam eine Aufnahme, die Greta eingehender betrachten musste, bis sie begriff, was sie zeigte: Auf einem Stein lag der Walfischknochen. Es war ein länglicher, leicht gebogener Stab, um dessen Enden ein Lederband gebunden war. Auf den ersten Blick konnte man es für ein Holzstück halten, doch die glatte Oberfläche und die ungewöhnlich feinen Schnitzereien deuteten darauf hin, dass es sich tatsächlich um einen Knochen handelte. Greta bückte sich tief über das Foto, um die Muster besser erkennen zu können. Geschlungene Linien, wie ein Netz … und andere Zeichen, vielleicht ein Sternenbild. Nein, sie brauchte eine Lupe und deutlich besseres Licht. Um die beiden anderen Aufnahmen des Knochens war es nicht besser bestellt, sie waren zu unscharf, geradezu verwackelt. Die Jungen waren natürlich unerfahren im Umgang mit der Leica gewesen, und die Jahrzehnte in der Schnupftabakdose hatten sicherlich auch ihre Spuren auf den Negativen hinterlassen. Die aufkommende Enttäuschung schluckend ging Greta zur nächsten Aufnahme über, die eine Gruppe Männer in einem Lokal zeigte. Bierkrüge wurden gestemmt, und es wurde geredet und mit weit aufgerissenen Mündern gelacht, während nur zwei abseits sitzende Männer ein Zwiegespräch führten. Fast alle trugen sie die Binde mit dem Hakenkreuz am Oberarm, und von einigen zierten Orden und Abzeichen die stolzgeschwellte Brust. Haben die Jungen diese Aufnahmen gemacht? , fragte sich Greta. Es schien ihr eher unwahrscheinlich, schließlich hatte ihr Interesse dem Walfischknochen gegolten. Doch dann fiel Greta ein, dass Arjen und Ruben die Kamera ja entwendet hatten und dass die ersten Bilder bereits vom Besitzer der Leica verschossen waren, diesem Fred Denneburg. Die Bilder mussten ein Treffen seiner Nazi-Kumpane zeigen … Als würde Greta sich die Finger an den Aufnahmen verbrennen, schob sie weitere dieser Fotos unter den Stapel, bis sie plötzlich innehielt.
    Da war er.
    Ruben.
    Helles Blondhaar, das für die damalige Zeit sicher schon unanständig lange nicht mehr geschnitten worden war, umgab ein Gesicht, das nur aus Augen und einem breiten Grinsen zu bestehen schien. Unschärfe und weiße Sonnenflecken lagen über dem Bild, schoben sich zwischen ihren Blick und diesen Jungen, und trotzdem … Das war Ruben, daran herrschte kein

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