Das Geheimnis des Walfischknochens - Roman
ist.«
»Vielleicht ist das Ganze ohnehin keine gute Idee. Ich will dir weder die Zeit rauben, noch böse Erinnerungen wecken.«
»Unsinn. Ich fände es schön, wenn Mattes endlich mal wieder verliebt wäre, der wird sonst seiner grantigen Großmutter immer ähnlicher. Hast du Adele schon kennengelernt? Ein waschechter Drache. Wie auch immer, für den Mann braucht man jedenfalls eine Gebrauchsanweisung. Ich habe so meine Erfahrungen mit ihm gemacht, warum soll ich dir nicht davon erzählen, damit du vorbereitet bist? Echt, ich bin froh, wenn ich hier mein Scherflein beitragen kann. Ist bestimmt auch einträglich fürs Karma.«
Greta presste ihre Lippen fest aufeinander, um nicht alles abzustreiten, obwohl sie sich von Mathildes Direktheit ziemlich mit dem Rücken an die Wand gedrängt fühlte. Während sie ihren Apfel bloß in der Hand hielt, biss Mathilde genüsslich in ihren hinein. Von bösen Erinnerungen, die sie niederdrückten, war nichts zu erkennen.
»Sag mal, wie heißt du überhaupt?«
Erst jetzt wurde Greta bewusst, dass sie sich noch gar nicht vorgestellt hatte. »Greta. Greta Rosenboom.«
»Eine Rosenboom also. Wusstest du, dass der Name bei uns auf Beekensiel gleichlautend ist mit ›Dickkopf‹? Wenn du Mattes die Stirn bieten willst, musst du genau das sein und noch einen Tick mehr, sonst hast du gegen ihn keine Chance, meine liebe Greta.«
Am Kai in Richtung Hafen war bedeutend weniger los, wofür Greta äußerst dankbar war. Denn im Gedränge der Kaffeetheke war ihr der kochend heiße Glühwein, den die halbe Insel anstelle von Kaffee gegen die aufziehende Herbstkälte trank, über die Finger gelaufen. Außerdem war Mathilde zu sehr mit dem Begrüßen sämtlicher Bekannten beschäftigt gewesen, als dass sie die Ruhe gefunden hätten, die ein solches Gespräch brauchte. Während sie auf dem weiß getünchten Rand des Kais entlangliefen, warf Greta einen Blick zurück auf das Sturmwind, wo Anette ihren Schwiegervater sicherlich gerade zum Frühstück überredete, auf das er nach der Aufregung des Vortags wohl kaum Appetit verspürte. Am Horizont türmten sich regenschwere Wolken, die schon bald über die Insel hinwegziehen würden, so wie der Wind stand. Ein weiterer Sturm und die Birkenblätter im Wald würden hinabrieseln wie goldene Plättchen – dann wäre die dunkle Jahreszeit endgültig gekommen.
»Hast du das Fischereigeschäft der Ennenhofs gesehen?«, fragte Mathilde unvermittelt, nachdem sie ebenfalls eine Weile ihren Gedanken nachgehangen war.
Greta wusste nicht recht, wie sie diese Frage verstehen sollte. »Nur von außen. Ein schöner Laden.«
»Nun, der Laden ist nur ein kleiner Teil des eigentlichen Geschäfts, der Großteil wird durch den Verkauf des Fangs bestritten, was richtig Geld einbringt. Oder zumindest war das vor einigen Jahrzehnten noch der Fall. Die Ennenhofs haben den Fischverkauf auf Beekensiel bestimmt – entweder man verkaufte an sie oder gar nicht, einen anderen Zwischenhändler gab es nicht. Und wenn jemand auf die Idee kam, sich als Konkurrent aufzubauen, fand er sich schnell in einer Situation wieder, die ihn davon überzeugte, es besser bleiben zu lassen. Schließlich gehörten den Ennenhofs ja auch die meisten Kutter, die sie an diejenigen vermieteten, deren Boote und Netze auf geheimnisvolle Weise zu Schaden gekommen waren. Trotzdem hatten sie offiziell einen tadellosen Ruf, denen hat nie jemand was ans Zeug flicken können, und mit Leuten, die hinter ihrem Rücken redeten, sind sie überaus rabiat umgesprungen. Nach außen hin haben sie immer den zurückhaltenden Familienbetrieb gegeben und sich sogar von den Nazis ferngehalten, die hier auf Beekensiel ansonsten alles fest in der Hand hatten. Na, bis auf so einen widerspenstigen Pfaffen namens Rosenboom.« Mathilde stupste Greta in die Seite, woraufhin sie sich noch einmal Glühwein über die Hand goss. »Mattes will darüber nicht reden, aber es wird gemunkelt, dass die Vorgehensweise seiner Familie oft nicht weit von Mafiamethoden entfernt war, auch wenn wohl niemand mit Beton beschwert im Hafen versenkt wurde … Glaube ich zumindest. Jedenfalls standen die Ennenhofs in den Nachkriegsjahren besser da als je zuvor da, während es den meisten Beekensielern schlecht ging. Bis der lokale Fischfang dann zunehmend einbüßte. Dann haben sie sich immer mehr auf den internationalen Handel spezialisiert und ihre Beziehungen stetig ausgeweitet. Rückblickend könnte man sagen, dass die Ennenhofs seit
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