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Das Geheimnis des Walfischknochens - Roman

Das Geheimnis des Walfischknochens - Roman

Titel: Das Geheimnis des Walfischknochens - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Heitmann
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war, wurde Magda beim Schwimmen in der Nordsee von einer Strömung ergriffen und ertrank. Ein Unglück, wie es an warmen Sonnentagen passiert, wenn alles leicht und unbefangen wirkt. Es musste ein Tag gewesen sein, an dem niemand mit dem Schicksal rechnete. Und dieser Frau sah Greta nun so ähnlich, dass ihr Großvater sie plötzlich mit einem Ausdruck ansah, der ihr fremd war.
    »Als du noch klein warst, hast du dir immer gern Geschichten darüber angehört, wie unsere Familie ins Backsteinhaus gezogen ist, wie dein Vater sich als Kleinkind die Vorderzähne auf der Kellertreppe ausschlug und Ewigkeiten mit einer Lücke herumlief. Oder wie deine Tante Beeke mit ihrer schon damals störrischen Art darauf bestand, mit dem Cocktailring ihrer Mutter Piratenschatz zu spielen, bis das gute Stück plötzlich verschwunden war, weil sie sich nicht mehr daran erinnerte, wo sie es verbuddelt hatte. Diese Meresunder Anekdoten haben dir gefallen, du konntest sie dir immer aufs Neue anhören.«
    »Das war ja auch besser als jede Bullerbü-Geschichte!«, erklärte Greta lachend. »Ihr habt damals ein tolles Familienleben geführt, schöner kann ich es mir gar nicht vorstellen.«
    Arjen rieb sich das Kinn, um seine Ergriffenheit zu überspielen. »Es ist schön zu hören, dass meine alten Geschichten dir so viel bedeutet haben. Schon als kleines Kind warst du stets eine aufmerksame Zuhörerin, ganz anders als Wencke, die sofort die Flucht ergriffen hat, wenn ich bloß ›damals‹ sagte.«
    »So gesehen ist es doppelt schade, dass du nie von deinen eigenen Anfangstagen erzählt hast. Ich vermute, es hängt damit zusammen, dass eine Kindheit unterm Naziregime wenig geeignet für amüsante Abenteuer war«, mutmaßte Greta.
    »So leicht könnte die Erklärung sein, ist sie aber nicht. Beekensiel, die Halbinsel vor der Küste Ostfrieslands, auf der ich aufgewachsen bin, war ab 1933 fest in der Hand der NSDAP . Die Ausschreitungen gegen Juden während der Novemberpogrome fünf Jahre später wurden auch bei uns heftig beklatscht. Die Beekensieler konnten von Glück reden, dass es auf ihrer Insel keine jüdischen Familien gab, sonst hätten sie sich gewiss an ihnen versündigt, so wie die Dinge standen. Selbst Kritiker des Regimes, wie mein Vater, hielten sich in diesen Tagen zurück, denn die allgemeine Zustimmung zum Treiben der Nazis war einfach zu breit. Nur an mir prallten diese Ereignisse ab, als Kind lebte ich schlicht in meiner eignen Welt.«
    Arjen fuhr sich mit der Hand durchs Haar, als könne er nicht fassen, dass der Junge, der er einst gewesen war, mit solchen Scheuklappen durchs Leben gegangen war. Ganz anders als der heutige Arjen, der die Tageszeitung akribisch las und keiner politischen Diskussion aus dem Weg ging. Die Politik war sogar das einzige Thema, bei dem er mit der Faust auf den Tisch schlagen konnte, etwa wenn es um Fremdenfeindlichkeit, engstirniges Gerede über sozial benachteiligte Gruppen oder schlecht verborgene Vorteilssucht ging. Durch seine Unnachgiebigkeit war schon so manche Meresunder Freundschaft Gefahr gelaufen zu zerbrechen, was auch einer der Gründe dafür war, dass Anette regelmäßig Zeitungen gleich nach der Lieferung im Ofen verbrannte, damit Arjen sich mit seinen alten und in mancher Hinsicht wenig toleranten Nachbarn nicht die Köpfe über Tagespolitisches einschlug. Deshalb fiel es Greta schwer, sich ihren Großvater als weltabgewandten Jungen vorzustellen.
    Arjen ließ jedoch keinen Zweifel an der Haltung seines kindlichen Alter Egos aufkommen. »Damals hatte ich weder mit der Welt der Erwachsenen noch mit der von Gleichaltrigen zu tun, was sich überwiegend dadurch erklären ließ, dass ich das einzige Kind von Thaisen Rosenboom war. Ein über sechzig Jahre alter Pastor, der fest daran glaubte, die Menschen kämen ins Paradies wenn sie so lange arbeiteten, dass sie abends zu erschöpft ins Bett fielen, um auf dumme Ideen zu kommen. Politik – oder gar Demokratie – hielt mein Vater für eine überbewertete Modeerscheinung und die Nazis für proletarisches Kruppzeug, an dem man sich, als geistig erhabene Person, nicht die Finger schmutzig machte. Für seinen Sohn bedeutete das, ein Außenseiter zu sein, der gar nicht wusste, wie einsam er in Wirklichkeit war.«
    »Deshalb hast du also nie von deiner Kindheit erzählt? Weil es nichts zu erzählen gab?« Greta war noch immer nicht überzeugt.
    »Im Wesentlichen stimmt das«, bestätigte Arjen jedoch. »Die meisten meiner zusammenhängenden

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